Ein Schulz im Aufwind

Seit der verheerenden Sozialgesetzgebung in der Kanzlerschaft Schröders, die mit dem Namen Hartz verbunden ist, hat sich die SPD mutlos durch die Bundespolitik bewegt.

Ein deutlicher Widerspruch als Solidarität mit der betroffenen Mehrheit der traditionellen SPD-Wähler wurde durch kleine Rechtfertigungen im überschwänglichen Lob von CDU/CSU und FDP verspielt.

Seit dieser Zeit hat die SPD nichts mehr geliefert und sich als kompromisslerischer Juniorpartner angeboten und damit glänzen wollen, was die CDU auch ohne SPD  verwirklicht hätte.

Jetzt wirbt der neue, zur Lichtgestalt typisierte Spitzenkandidat Schulz für einen Vertrauensvorschuss der Wähler, weil er ja erst liefern kann, wenn er gewählt ist.

Nun ist der potentielle Wähler gerade bei den irgendwie mitregierenden Parteien anspruchsvoll. Er will erst die Politik sehen, die er wählen würde und nicht umgekehrt einen Vertrauensvorschuss in eine Wahlentscheidung legen, nur weil der Kandidat so nett ist und viel verspricht und sich damit einreiht in die vielen zurückliegenden Versprechungen, die hauptsächlich unerfüllt geblieben waren.

Das ist ein Dilemma: Der Kandidat kann nicht mehr, als versprechen, dass alles besser wird. Und seinem potenziellen Wähler ist das einfach zu wenig.

So kommt es, dass der Kandidat einfühlsam und individualisierend präsentieren muss, um wenigstens im Wettbewerb mit den Kandidaten der anderen Parteien die Nase vorn zu haben. Letztlich werden Sympathien für den Wahlausgang entscheidend sein, während die Partei der Kanzlerin Merkel zusätzlich auf ganz konservativ auf die setzen kann, die die bisherige Bundespolitik als Erfolg deuten und fortgesetzt haben wollen.

Der Herr Schultz ist ja wirklich nett. Er spricht auch deutlich. Es gibt viele Menschen, bei denen das auch so ist. Allerdings hängen die meisten nicht mit einer Partei zusammen, die selbstgefällig dahin schlummert und eigentlich nur gebraucht wird, die anfallenden Mandate zu besetzen. Es kann wohl sein, dass dabei ganz neue Talente nach oben gespült werden, die der sozialen Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen. Sicher ist das allerdings nicht.

Schweigen ist Silber

Frau Merkel ist nicht mächtig! Die öffentliche Darstellung einer Macht ist kaum zu begründen. Sie hat nämlich nur ein Mandat auf Zeit, das an den Willen der Bundestagsabgeordneten und der wiederum gebunden an die Wahlentscheidung der Bürger gebunden ist. Mit einer neuen Wahl wird neu gemischt.

Der Bürger ist dabei frei. Wenn er nicht wählt, dann kann das sogar prinzipiell eine politisch verantwortete Entscheidung sein, auch wenn andere sie nicht teilen.
Dass man nicht weiß, was der Nichtwähler will, verleiht der Kanzlerin keine neuen Freiräume, es beschneidet ihre Legitimation. Man kann also die Prozente, nach denen sich die Parteien manchmal erfolgreich fühlen, gerechterweise auf die Gemeinschaft aller Wahlberechtigten umrechnen, dann halbieren sie sich in der Regel. Wer also 50% der Wähler hinter sich vereint, findet aber immer öfter nur 25% der wahlberechtigten Bürger wieder, die sich hinter so einer Partei vereinen.
Die pragmatische Politik mag den Bürger jedoch nur dann, wenn man sich seiner Zustimmung sicher ist. Egal wer da kommt, er muss am besten treu und unkritisch sein. Die Nichtwähler sind dabei das größte Risiko. Deshalb werden sie einerseits gelockt, meistens also sogenannte potentielle Wechselwähler mit Wahlversprechen, und andererseits madig gemacht.
  • Sie werden als Nichtwählerpartei verunglimpft, obwohl es ja offensichtlich ist, dass sie weder als Partei antreten noch wie Parteigänger verrechnet werden wollen.
  • Sie werden als Politikverdrossenheit gebrandmarkt, obwohl sie vielfach nur die Konsequenz aus der Bürgerverdrossenheit der Politiker ziehen.
  • Sie werden als Verweigerer grundlegender Bürgerpflichten stigmatisiert, obwohl sie sich einwandfrei im Raum des Wahlrechts bewegen, das auch zulässt, dass man nicht wählt.
  • Sie werden als weniger intellektueller Bodensatz der Gesellschaft, der vielleicht an ihre individuellen Freuden, aber nicht an das gesellschaftliche Wohlergehen denkt, mitgeschleppt, obwohl sie trotz gegenteiliger Beteuerungen systematisch aus den s fern gehalten werden.
Die Regierung ist legitimiert, wenn ein breiter gesellschaftlicher Konsens darüber besteht, dass Wohlstand, Gerechtigkeit und Gesundheit, also die Basics des sozialen Lebens, von ihr verwirklicht werden. Es mehren sich die Beispiele dafür, dass diese Legitimation Lücken aufweist. Man sieht sie in den nackten Zahlen, zum Beispiel der Einkommensverteilung und in der schlichten Rechtfertigungsrhetorik, wenn es um öffentlich thematisierte Krisen geht. Vermeintliche Freunde hören ab und die Kanzlerin sagt: „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht!“ und dann wird ohne Unterlass weiter abgehört und man erfindet sogar ein No-Spy-Abkommen mit den Abhörern. Die Kanzlerin sagt: „Mit mir wird es eine Pkw-Maut nicht geben.“ Und alle Parlamente stimmen einer Maut zu.
Es ist also eng geworden mit der Legitimation. Es gibt eine Legitimationskrise. Zur Krisenbewältigung hilft nun der Bürger mit, der sie täglich erlebt und auch die Politik aufgearbeitet werden will. Er möchte ja auch nur seinen Frieden und geht deshalb dem Widerspruch (wählen) wie der Verweigerung (nicht wählen) aus dem Weg und orientiert sich an der herausragenden Qualifikation der Kanzlerin. Sie ist in der Welt geachtet und hoch angesehen, weil sie sich mit einer Wirtschaftskraft im Rücken kalkulierbar im Mainstream bewegt. Ihr nichtssagendes Aussitzen gilt als klug, wie auch der Philosoph und der Rabe vor allem dann als klug gelten, wenn sie nichts sagen. Die These des Bürgers lautet, dass es sinnvoller ist, so weit es geht diese Erfolgsreise der Kanzlerin zu begleiten und die Belastungen von Wohlstand, Gerechtigkeit und Gesundheit als Kollateralschaden und Bestandteil des Erfolgsrezepts zuzuordnen. Wir bleiben also gespannt, wie lange die Reise gut geht, denn sie ist innovationsfeindlich, weil sie auf die endlose Fortführung der Gegenwart ausgerichtet ist.