Zur Pflege der Parteienlandschaft: Klientelpartei, Volkspartei und dann?

In der politischen Diskussion kommt immer wieder das Wort Volkspartei vor, obwohl nach meiner Einschätzung stets einfach nur Partei gemeint ist. Damit wertet man wohl Parteien auf, die gerade prinzipiell ins Gerede gekommen sind. Man tut so, als seien das Parteien mit Sternchen, also etwas höherwertiger und unverzichtbarer. Man vermeidet auch ganz schlau jeden Hinweis darauf, was denn eine Volkspartei überhaupt zu sein hat. Lediglich die Grünen verzichten darauf und können das, wenn sie befragt werden, auch begründen.

Für alle anderen hier noch einmal mein traditioneller Schnellkursus!

Also: Volksparteien sind weder große Parteien, noch alte Parteien und schon gar nicht Parteien, die das Volk vertreten.

Volksparteien wurden historisch betrachtet so benannt, weil sie im Gegensatz zu Parteien mit besonderem Schwerpunkt für besondere Zielgruppen in ihrem Selbstverständnis die Interessen aller Bevölkerungsgruppen gebündelt haben. So, wie vor 100 Jahren die Klientelparteien fragwürdig wurden, werden heute offenbar auch die Volksparteien fragwürdig, weil sie in gewisser Weise unterschiedliche Interessen programmatisch ausgleichen und dabei oft bis zu Unkenntlichkeit verstecken. Ihre Auseinandersetzung darüber findet also ohne viel Aufsehen innerparteilich statt und dann eben nicht mehr zwischen Parteien im Parlament. Klientelparteien sind eindeutiger und glaubwürdiger, aber eben nur für Ihr Klientel.

Aber die gibt’s eigentlich nicht mehr. Im Bundestag sehe ich keine Partei, die nicht Volkspartei ist — mehr oder weniger. Bei der AfD allerdings eher weniger …

Je stärker sich Gesellschaften differenzieren, um so schwieriger wird die damit verbundene Aufgabe der Integration dessen, was sich gerade differenziert hat. Das gilt gerade auch für politische Parteien, die stark dem Volksparteiparadigma folgen. In einer bewusst auf Vielfalt und Inklusion angelegten Welt, werden die Interessengruppen politisch Gleichgesinnter in immer kleinere Einheiten aufgelöst und mit der Inklusion ganz neue Skills auf den Weg gegeben, um sich als Individuum in der Gesellschaft teilnahmsvoll inszenieren zu können. Die favorisierte Politik von Volksparteien kommen also immer schwerer zu dem von ihnen propagierten Konsens aller Bevölkerungsgruppen. Sie gehen vielfach auch hilflos dazu über, demoskopische Algorithmen zu bemühen, festzustellen, was der Bürger denn so will. Damit gehen auch die Unterschiede der Volksparteien sukzessive verloren. Der Bürger kann die politischen Parteien kaum noch unterscheiden und traut allen gemeinsam alles mögliche zu, aber nicht das, was er sich wünschen würde.

Damit ist das Ende einer Entwicklung der Volksparteien erreicht. Klientelparteien wirken dagegen plötzlich aussagestark, wenn sie das begleitende Gefühl vermitteln, dass diese Partei sich für den Einzelnen und Gleichgesinnte engagiert und die Frage nach dem leitenden Interesse der Partei, Ihrem Menschen- und Gesellschaftsbild unterbleibt.

Mit der Globalisierung der Welt ist es allerdings so, dass die Ressourcen der lebenswerten Welt immer besser erforscht und beschrieben werden und allerorten die Welt selbst Themen setzt, die herkömmliche Parteiprogramme ersetzen oder ihnen doch zumindest den Rahmen vorgeben. Grenzenloses Wachstum, zunehmend unbeherrschbarer Klimawandel, globale Ungerechtigkeiten und das ungeheure Potential, die Welt zu vernichten, sind nur Beispiele für universelle Themen, die zur Rettung der Welt anstehen und empirisch zudem gut erforscht sind. Politische Parteien, gleichgültig ob sie sich für ein bestimmtes Klientel oder allen Klientels verpflichten, sind künftig daran zu messen, wie und in welchen Zeiträumen sie Abhilfe versprechen. Sich Zeit zu lassen, um erst noch einmal alles zu besprechen, ist wohl ein Ausschlusskriterium im Spektrum wählbarer Parteien. Beschleunigte Politik wird im Vorteil sein.

Siehe aber auch:
Zur Unsterblichkeit der politischen Parteien

Für Parteien auf Zeit!

Der Mensch ist ja ein soziales Wesen. Er gesellt sich gern mit Gleichgesinnten und gründet dann bisweilen Vereine und sogar Parteien. Sie dienen einem Ziel, das der vereinzelte Mensch allein gewiss nicht erreichen könnte. Erst mit der Etablierung der Menschenrechte wurden Menschenansammlungen, ohne die ja keine Partei auskommt, gesetzlich geschützt. Zuvor galten Ansammlungen jeder Obrigkeit als verdächtig, die konservative Ordnung durch Unfolgsamkeit zu gefährden.


Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen

Wir Bürgermeister und Senat,
Wir haben folgendes Mandat
Stadtväterlichst an alle Klassen
Der treuen Bürgerschaft erlassen.

Ausländer, Fremde, sind es meist,
Die unter uns gesät den Geist
Der Rebellion. Dergleichen Sünder,
Gottlob! sind selten Landeskinder.

Auch Gottesleugner sind es meist;
Wer sich von seinem Gotte reißt,
Wird endlich auch abtrünnig werden
Von seinen irdischen Behörden.

Der Obrigkeit gehorchen, ist
Die erste Pflicht für Jud und Christ.
Es schließe jeder seine Bude

Sobald es dunkelt, Christ und Jude.

Wo ihrer drei beisammen stehn,
Da soll man auseinander gehn.
Des Nachts soll niemand auf den Gassen

Sich ohne Leuchte sehen lassen.

Es liefre seine Waffen aus
Ein jeder in dem Gildenhaus;
Auch Munition von jeder Sorte

Wird deponiert am selben Orte.

Wer auf der Straße räsoniert,
Wird unverzüglich füsiliert;

Das Räsonieren durch Gebärden
Soll gleichfalls hart bestrafet werden.

Vertrauet Eurem Magistrat,
Der fromm und liebend schützt den Staat

Durch huldreich hochwohlweises Walten;
Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.

Heinrich Heine


Organisationen sind an ein Ziel gebunden. Wenn man nun die Programme aller Parteien verdichtet, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass sie allesamt glückliche Menschen in Frieden, Freiheit und Wohlstand anstreben. Sie werden sich also auflösen, wenn dieses Ziel erreicht ist. Sie gebärden sich also als eine Institution, die das Ziel in der eigenen Existenz sieht, die eine Bedeutung hat, die letztlich über Ziele erhaben ist. Das ist aber auch so, weil Parteien mit der Zeit ein Eigenleben entwickeln, das den Zielen übergeordnet ist. Man wird also die Zielbestimmung dynamisieren und aus der Tradition eine Unverzichtbarkeit ableiten. Krisen in politischen Parteien sind als ein Überlebenskampf zu deuten, weil alte Ziele nicht mehr tragen und das auf sich selbst gewendete Ziel, zu überleben, die Parteiressourcen auffrisst. Vernünftig wäre es, getrennte Wege zu gehen und sich zu verbesserten Parteien zusammenzuschließen. Ich erinnere an die bedeutungsvolle, große und geschichtsträchtige Partei Democrazia Cristiana in Italien, die schließlich mit ihrem maroden Innenleben und gepflegter Fassade im Jahr 1994 in kurzer Zeit rückstandslos implodiert ist.

Ich möchte nun aktuell keiner Partei eine Vorschrift machen. Wenn ich aber mitbekommt, dass so mancher Partei, die vor kurzem noch wie eine im Kern unwandelbare Institution gehandelt wurde, das Kerngeschäft verloren geht und dann über ihre ruhmreiche Geschichte berichten lässt, dann denke ich schon, dass den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen nicht mehr wirksam begegnet werden kann. Alle Jahre wieder, wie in einem Kramladen sein Portfolio zu erweitert und jetzt ein Mittel gegen entfesselte Geldströme anzubieten, weil der Kunde Wähler das möglicherweise will, wirkt insgesamt doch sehr hilflos.

Neue Parteien haben freilich auch ihre Probleme und locken stets vagabundierende Politiker an, die sich schnell als Einzelgänger erweisen, weil ihre Positionen nicht parteifähig sind. Parteien haben meist einen langsamen Start und ein zähes Ende. Aber sie sichern die Vielfalt im politischen Spektrum und bilden die Bevölkerung besser ab, als traditionelle Platzhalter, die behaupten, „Wahlkampf zu können“. Und das ist doch wichtiger als alles andere.