Der Preis, die Kunst und das Leben

Kunstpreise haben ja im Kern einen doppelten Zweck: Sie sollen meistens ein Signal setzen und die Kultur fördern.
Beide Zwecke haben aber ihre Tücken. 

Die Welt ist mit Signalen überfrachtet. Immer und überall werden immer wieder Signale gesetzt. Kaum ein Öffentlichkeitsmedium verzichtet nur für eine kurze Zeit darauf, die Floskel des Signalsetzens zu vermeiden. Strenggenommen wollen wir ja keine Signale und sind der Signale überdrüssig. Eigentlich wollen wir das, worauf so ein Signal hindeutet. Aber was wäre so wichtig, wie die Vorbeifahrt des Königs, der mit Signalinstrumenten angekündigt wird? Ich meine eben, die Signale nehmen überhand, während die Ereignisse meist unauffindbar sind, denen so ein Signal vorausgegangen ist und zugeordnet wird. Es ist ja meist nicht einmal ein richtiges Signal, sondern nur ein geschriebener oder gesprochener Satz, in dem ein Signal vorkommt. Und auch Kunstpreise verlieren sich oft in Begleittexten mit dem Wort Signal. Ein echtes Signal zu setzen ist mit der Kunst sehr schwer geworden, weil sie oft eingekleidet von Besserwissern daher kommt, obwohl sie sich nur nackt entfalten kann.

Die Förderung kennt man ja hauptsächlich für defizitäre Menschen, hauptsächlich in Schulen und eben bei Künstlern. Wobei der Künstler sich wohl eher als in der öffentlichen Beachtung zu fördern sieht. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass der Künstler sein Werk so stark visionär überhöht, dass sein Gesinnungswerk bisweilen auch als förderungswürdig in Erscheinung tritt, weil er zu wenig Gesinnungsgenossen hat. Ob so etwas die Kunst fördert, ist fraglich. Aber Förderungen durch Preise haben sich etabliert. Das liegt auch daran, dass wir uns kollektiv entschieden haben, die Kunst sehr weit zu fassen und deshalb auch keine Kriterien haben, Kunst an Kriterien festzumachen. Das ist aber auch gut so, denn sonst lohnte es nicht, über Kunst, Kunstpreise und Kunstpreisjurys zu diskutieren.

Manchmal rettet uns aber die öffentliche Diskussion. Jüngstes Beispiel ist der #NellySachsPreis der Stadt Dortmund. Er sollte in diesen Tagen – nach reiflicher Juryarbeit – an die Autorin Kamila Shamsie vergeben werden, die eine höchst umstrittene Anti-Israel-Kampagne unterstützt und sich nicht in der Gedankenwelt von Nelly-Sachs, mit Toleranz, Respekt, Versöhnung, zurecht findet. Erst nach öffentlichem Widerspruch gibt es eine ganz langsame Wende: Der Preis wird in diesem Jahr nicht an Frau Shamsie vergeben. Der beste Preis nutzt also nichts, wenn so eine Jury mit Defiziten arbeitet. Das ist ja oft genug der Fall. Denken wir nur an den Friedensnobelpreis. Jurys zu fördern oder vielleicht bereits eine Zusammenstellung so einer Jury zu fördern, würde dann doch wohl zu weit gehen.

Die beste und zugleich preiswerteste Förderung der Kultur ist die Debatte – ein gutes Signal zudem. Aber dafür kann man sich zunächst ja nichts kaufen.

Zuerst war der Mensch

Zuerst war der Mensch und dann kam der Staat. So ein Staat, wenn er erst einmal begründet ist, zeigt die Tendenz, den Spieß umzudrehen und dem Menschen Vorschriften zu machen. Bert Brecht wies deshalb bereits 1953 darauf hin, dass die Regierung ja ein Volk wählen könne, das ihr genehm ist.

"Nach dem Aufstand des 17. Juni
 Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands
 In der Stalinallee Flugblätter verteilen
 Auf denen zu lesen war, daß das Volk
 Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
 Und es nur durch verdoppelte Arbeit
 Zurückerobern könne. Wäre es da
 Nicht doch einfacher, die Regierung
 Löste das Volk auf und
 Wählte ein anderes?"

in: Bert Brecht, Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Dritter Band: Gedichte 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1997. S. 404

Aktuell gibt es zwei Diskussionsstränge in der Öffentlichkeit, die das Verhältnis des Menschen und des Staates thematisieren, die Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen und die Diskussion um das in Gesetze implementierte „Fördern und Fordern“ von Hilfebedürftigen.

1 Das bedingungslose Grundeinkommen
Es geht vielerorts um ein bedingungsloses Grundeinkommen. In der Schweiz gab es dazu gerade eine Volksabstimmung. Das hat zunächst für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Die Idee hört sich einfach an, schafft allerdings bei der Verwirklichung eine neue Gesellschaftsordnung, die den Vorrang des Individuums vor dem Staat betont. Die Kritiker kommen dem entsprechend eher aus der Welt der Garanten des gesellschaftlichen status quo, den Parteien, der Industrie und auch der Gewerkschaften, die sich auf einen rituellen Interessenausgleich mit phantasievollen Rechtfertigungsressourcen für Armut und Reichtum geeinigt haben. Gefragt, warum sie dagegen sind, hört man meist, das Individuum würde sich bei einem garantierten Grundeinkommen unmittelbar zur Ruhe setzen wird. Dabei deutet nichts darauf hin, dass es so sein wird. Es schimmert aber unübersehbar durch, dass die Gegner dem Individuum immer nur alles Schlechte zutrauen und den Staat benutzen, es zum Glück bestehender Besitzstände zu zwingen und ihm zu vermitteln, dass es sein eigenes Glück ist. Aus Feldexperimenten mit dem bedingungslosen Grundeinkommen wissen wir dagegen, dass die Nutznießer meistens gern arbeiten und das auch noch mehr als je zuvor und sich in der Arbeit mit guten und kontroversen Ideen einbringen und zu einer hervorragenden Produktivität beitragen. Sie gewinnen nämlich eine neue Freiheit und damit neue Möglichkeiten, neue Erfahrungen und neue Zuversichten.

2 Das Fördern und Fordern
Das unsägliche Reden von „Fördern und Fordern“ gehört unmittelbar in diesen Zusammenhang. Es hat seinen Ursprung in der hartzgesteuerten sozialdemokratischen Sozialpolitik in der Kanzlerzeit Schröders und zieht sich quer durch alle damals neu verabschiedeten Sozialgesetzbücher. Es war zuvor bereits ein Kernelement der Personalpolitik in Firmen. Der Herr Hartz ist ein mittlerweile rechtskräftig verurteilter Verbrecher aus dem VW-Konzern. Von ihm wurde dieses Spiel aus ähnlichen Wörter in die Politik geschleust, das dann nachdrücklich noch einmal mit dem ständigen Wechsel der Worte, also „Fordern und Fördern“ und so weiter, vorgetragen wird. Seit dieser Ära Schröder zeigen eigentlich die Erfahrungen, die von allen Wohlfahrts- und Sozialverbänden auch so bestätigt werden, dass der als Fordern titulierte Anteil einer Hilfe die Ausgestaltung der Vermutung öffnet, dass der einzelne sich lediglich ohne Gegenleistung beim Staat bedienen will. Nach aller Erfahrung ist das aber nicht so. Der Einzelne will durchaus aktiv und autark sein Leben gestalten, vorausgesetzt er hat gelernt, das dann auch zu tun. Trifft er dann im Behördenkontext auf das Druckmittel Fordern, wird er nicht nur als Faulpelz gebrandmarkt, er wird auch systematisch mit Forderungen, deren es gar nicht bedarf, weil er selbst weiß, was zu tun ist, oder die ihn überfordern, weil sie meist im Pauschalverfahren ohne Ansehen der Person eingesetzt werden. Anstelle des Forderns muss also ein Fördern stehen, das individuell bei den Talenten des Einzelnen ansetzt und zur Grundlage hat, dass die materiellen Ressourcen zur Gewährleistung von Grundbedürfnissen nicht angetastet werden. Was die Bezieher des Arbeitslosengeldes I und II zum abgehängten Proletariat gemacht hat, liefert nun den Rahmen für die Flüchtlinge in Deutschland. Ihre Eigeninitiative wird jäh gestoppt, wenn sie in einem oft gänzlich unbekannten kulturellen Kontext erst einmal mit Erwartungen und unverständlichen Pflichten eingedeckt werden. Die moderierenden ehrenamtlichen Helfer haben derzeit alle Hände voll zu tun, den unerklärlichen Behördenanspruch interkulturell zu vermitteln und kaum eine Chance, den Involvierten Behörden und dem Gesetzgeber zu vermitteln, was der Staat wirklich zu tun hat. Er hat zu fördern. Sonst hat er nichts zu tun. Wenn sich Förderungen als wirkungslos erweisen, dann würden sie sich als ungeeignet erweisen und müssen durch angemessenere ersetzt werden. Mit Forderungen wird die Sache nur noch schlimmer. So zeigen die weböffentlichen Texte umständlicher Behörden ein Potpourri von Rechten und Pflichten, während der Hilfebedürftigen weder an das eine noch an das andere denken mag und sich über jede Form von Zuwendung freut.

3 Das Ergebnis
MenschDas Grundübel bleibt eben, dass der Mensch an sich gut ist und die älteren und grundlegenderen Rechte hat als der Staat, der allerdings sehr schnell den Spieß umdreht und sich den Bürger gefügig macht, wie der Arbeitgeber den Mitarbeiter. Das gilt es zu verhindern.

Links zum Thema:
http://www.grundeinkommen.de
http://de.m.wikipedia.org/wiki/Bedingungsloses_Grundeinkommen
http://www.mein-grundeinkommen.de