Corona aus dem Automaten

Es ist Anfang März 2021:
Die Bürde der Verantwortung im Umgang mit Corona ist so unermesslich groß, dass man sich einen politischen Automatismus ausgedacht hat, der fortan entlastet und alles selbst regelt.

Es gibt nun Lockerungen im Lockdown, die hie und dort sogar kleine Schneisen der Freiheit zu vernetzen ermöglichen, wenn bestimmte Messwerte eingehalten werden.

Beispielsweise öffnen wir die Gastronomie. Und weil der Satz gilt, dass soziale Kontakte keine absolute Sicherheit bieten, ist es nicht unwahrscheinlich, dass Cafébesucher die gewonnene Freiheit auch direkt wieder verspielen. Dann wird Ihnen das Café bei steigenden Zahlen wieder weggenommen.

Wir haben mit den Automatismus in Wahrheit ein Konditionierungsprogramm für Entgrenzungsliebende: Bleiben sie zu Hause, bekommen sie ihr Café wieder zurück. Damit sind die Erfinder des Automatismus fein raus. Die Umsetzung erfolgt dezentral und der Bürger merkt sehr bald, dass er durch sein Verhalten selbst bestimmt, wie die Kurve der Infektionen gefahren wird.

Soweit, so gut!

Bleibt nur die dumme Angewohnheit, den Nachbarn für die steigenden Infektionszahlen verantwortlich zu machen.

Entzauberte Weihnacht

Ich bin dabei …

Als Kind glänzten mir wahrscheinlich auch die Augen, als ich auf dem Arm von Vater oder Mutter auf die brennenden Kerzen und das silberne Lametta geguckt habe. Später kamen noch selbst gebastelte Sterne aus Strohhalmen dazu. Damals waren Strohhalme ausschließlich aus Stroh. Die Omas kamen zu Besuch. Es wurde eine Schippe Kohlen extra in den Ofen geschoben und alle freuten sich auf ein sehr gutes, leckeres und reichhaltiges Essen. Dann wurden aber zunächst in endlosen Strophen Weihnachtslieder gesungen. Die eine Oma hatte ein erstaunlich umfangreiches Repertoire und ich konnte bei der Gelegenheit sogar meinen Vater singen hören. Das gab es nur an Weihnachten. Über das warme und leckere Leben hinaus habe ich mich daran gefreut, dass mit der einen Oma sogar deren Fernseher im Auto meines Vaters abgeholt wurde. Weihnachten war also Fernsehzeit. Dann gab es noch Geschenke. In einem Jahr war das Schenken für mich einfach. Ich hatte zufällig einen Vetter meines Vaters getroffen, der mir unverhofft und sagenhaft 10 Mark für Weihnachtsgeschenke gegeben hatte. Meine Mutter bekam also Kölnisch Wasser und mein Vater ein Päckchen seiner Zigarettenmarke. Sonst bekam von mir niemand ein Geschenk. Das war eben so. Dann gab es aber Geschenke von den Erwachsenen an die Kinder. Es waren Spielsachen und auch ein paar Wintersachen, die man wohl auch ohne Weihnachten bekommen hätte. Ganz verrückt war ja, dass man als Junge so etwas wie Schokoladenzigaretten und andere Süßigkeiten bekam. Die Spielsachen haben mich sehr lange begleitet und mir Freude gemacht. Mit 5 Jahren bekam ich so einen „Stabilbaukasten“ mit Metallteilen, Rädern, Achsen, Schrauben usw. Mein Vater hatte einen Schraubenzieher dazu gelegt, der wohl besser war, als der dazugehörige. Ich habe ihn heute noch griffbereit auf meinem Schreibtisch. Späterhin machte mir Weihnachen im Vorfeld zu schaffen. Ich habe mit mehreren Einkaufslisten täglich mehrere lange, mühsame Wege mit einer Einkaufstasche laufen müssen. Allein 2 Liter Milch in der Glasflasche waren so schwer, dass ich zum Tragen ständig die Tasche absetzen und die Hand wechseln musste. Zwischendurch habe ich dann alle Schuhe geputzt oder dann irgendwann eine Kanne Öl für den Ölofen im sonst ungeheizten Wohnzimmer geholt. Die Kirche spielte an Weihnachten eigentlich keine Rolle. Mein Vater hatte in der Kriegsgefangenschaft vollgefressene und predigende Pfarrer erlebt und mit dem Glauben wie auch mit dem Militär abgeschlossen. Das beste Erlebnis in der Weihnachtszeit waren die Essener Lichtwochen. Da lief die Familie staunend durch die ganze Stadt, bewunderte die thematisch aus Glühbirnen und Metallschienen gestalteten Lichtbilder und landete zum Abschluss am Limbecker Platz an einer Wasserorgel. Es war nicht überlaufen, obwohl die Besucher von weit her kamen. Dort spielten Weihnachtslieder, zu denen bunt angestrahlte Fontänen sich rhythmisch bewegten. Manchmal war auch eine Operettenmelodie dabei. Zu Hause gab es dann noch eine Tasse mit warmer Milch mit einem Butterbrot. Als ich dann älter wurde, gab es immer weniger Spielzeug und aber auch immer mehr Kleidung. Ich war 12 Jahre, als mir dieser Wandel zum ersten Mal sogar gefiel. Ich hatte mich – auch entwicklungsbedingt – gewandelt. Damit einher lief eine Entzauberung des Weihnachtsfestes. Ohnehin notwendige und verfügbare Kleidung hat ja auch nichts mit Weihnachten zu tun, wenn man einfach mal von den musikgeladenen Elchsocken absieht, die ich einmal unter weitgehend fremden Leuten aus aller Welt erwichtelt habe.

Die Zwischenbilanz: Das Thema Weihnachten hatte ich so mit 18 Jahren zufriedenstellend bewältigt.

Doch dann kam Weihnachten zu mir zurück. Eingebunden in soziale Lebenswelten kann man sich dem nicht entziehen. Die eigenen Kinder wurden beschenkt. Ab und zu gab es hinter dem Haus eine Lichterkette. Und weil an den Tagen ohnehin alle frei hatten und man rechtzeitig einkaufen musste, lud man auch gleich die Verwandten ein, für die sonst wenig Zeit blieb. Dann wurde der Weihnachtsmann gegen das Christkind platziert und er kurbelte die Geschäfte an. Weihnachten wurde mit zahlreichen untraditionellen Elementen ausgestattet, blinkendem, buntem Licht und dem Geruch von Printen und anderem süßen Naschwerk, der seinerseits im Geruch von Bratwürsten und exotisch aufgemachten Kartoffeln in Alufolie versank. Der Weihnachtsmarkt war geboren und erinnerte mit bewegten Pappfiguren am Rand an die ergreifend würdevolle Armut der Geburt Christi. Es gab verkaufsoffene Sonntage und die Paketboten schufteten sich krank und arm durch das Leben. Auch im Fernsehen brannten viele Kerzen und jeder Musiker hatte dort einen würdevollen Beitrag, den Konsum zu verkleistern. Die Trendartikel der Elektronikbranche gingen gut weg. Rezepte mit Weihnachtsausrichtung überschwemmten die heimische Küche und dekomäßig musste eh alles stimmen. Keine Serviette war ohne aufgedruckte Rentiere und Tannengrün weihnachtswürdig. Und die armen Menschen spendeten für die noch ärmeren Menschen in der Welt und ließen die Charitybewegung auf dem Weihnachtstrittbrett aufblühen wie noch nie.

Ich bin ja fest der Meinung, dass die Entwicklungen der letzten 50 Jahre wohl unvermeidlich waren, dass sie aber in keiner Weihnachtstradition stehen. Man darf es sich nicht so leicht machen, dass man die eine oder andere Wiederholung für Tradition hält, nur weil sie sich gut rechnet. Selbst der gute Tannenbaum, ein Kernpunkt aller Feierlichkeiten, der in großen Städten heutzutage gigantisch hoch aufgeschichtet wird, wurde erstmals im 19. Jahrhundert erwähnt.

Jetzt – AD 2020 – erfordert der Coronavirus die Vernunft, zwischenmenschliche Kontakte zu reduzieren, um Menschenleben zu retten. Vom Weihnachtsfest bleibt nur der Kern zurück. Das ist nicht unsympathisch. Alle Weihnachtserrungenschaften der letzten Jahrzehnte sind jetzt der Nährboden für den Coronavirus. Weihnachten ist irgendwie abgesagt, weil jede Form von Geselligkeit tötet.

Mich ärgert sehr, dass sich Menschen dagegen wehren und ihr subjektiv gültiges Bild von Weihnachten unbedingt retten wollen, notfalls auch gegen Viren. Da hilft selbst beten nicht. Ich bin heilfroh, dass die grenzenlose Auffächerung von vermeintlichen und unbedeutenden Weihnachtsaccessoires ein Ende hat. Und ich bin geneigt, Weihnachten wieder neu zu entdecken.

Fröhliche Weihnachten! • AD 2020