Aus der Einsamkeit

Bisher war Herr Böhmermann immer nur der Böhmermann, also so eine Institution, die sich der Kategorisierung entzieht. Jetzt, wo er den türkischen Präsidenten Erdoğan im öffentlich-rechtlichen Fernsehen als „Ziegenficker“ bezeichnet hat, wird er uns auf einmal in allen Medien als Satiriker präsentiert. Das soll wohl darauf hindeuten, dass er so etwas wie eine abgeschlossene Berufsausbildung hat und nach den Regeln der Kunst agiert. Um sein Textstück ebenfalls zu qualifizieren, wurde es der jahrtausendealten Lyrikform des Schmähgedichts zugeordnet.

Ich finde es trotzdem sehr armselig, wenn so ein Satiriker an der Grenze zum Strafrecht herumscharrt, um beim professionellen Zeitgeistsport Liken die Nase vorn zu haben. Was hätte er anderes im Sinn gehabt haben können?

Nachtrag: Guck mal da…

Warnung vor Erdoğan!

Ali Gator
Herr Gator blogt up!

Vorsicht! – Der türkische Präsident Erdoğan macht Anstalten, die Satire als Waffe seiner Gegner ausschalten. Seine Warnung auf der Achse der Diplomatie sind im Gelächter verhallt. Jetzt arbeitet er wohl an einer Achse der Dummheit. Seine Waffen haben bisher keine große Reichweite, auch wenn seine Leibwächter in Washington gerade die Kritiker mit Stimmbandlärm attackieren. Die Satiremanufakturen Europas arbeiten autonom und dezentral und sind obendrein durch gelebte Freiheitsrecht gut geschützt. Da bleibt Herrn Erdoğan nur noch, die 2,5 Millionen Flüchtlinge ähnlich einer Armee nach Europa zu schicken, um den Europäern die Lust auf Satire auszutreiben. Aber auch damit wird er sein Ziel verfehlen. Denn seine Gegner sind nicht nur freiheitsliebend, sondern auch gegen jede Politik überwiegend human.

 

journalistisch lauer Lenz

Angesichts terroristischer Übergriffe machen sich viele Journalisten einen lauen Lenz. Anstatt zu recherchieren lassen sie Vertreter diverser Gewerkschaften reden, die Polizisten vertreten. Wie es jeder Gewerkschaftsvertreter tut, verweisen sich aus eine unzureichende Ausstattung, Ausbildung und Bezahlung  und zu wenig Polizisten und auf diesbezüglich jahrelange Versäumnisse. Was sollen solche Interessenvertreter auch anders sagen? Es ist ihr Job, es so zu sagen. Man kann solche Aussagen selbstverständlich auch auf den Umgang mit Terroristen anwenden. Redlich ist das aber nicht! Wo bleibt die Recherche?

Demokratie als immerwährendes Wagnis

Der Traum in allen Versuchen zur Demokratie war es stets, dass sich alle eine Meinung bilden, mitreden und mitbestimmen. Bert Brecht träumte 1923 in seiner Radiotheorie sogar davon, den gesellschaftlich unbestellten, aber technisch möglichen Distributionsapparat Radio in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln, in dem jeder jedem alles Mögliche sagen kann.

Die sozialen Netze sind nun heutzutage eine technische Erfindung, die ganz so überraschend wie ehemals das Radio etwas erlaubt, was zuvor nur geträumt wurde. Zunächst haben sehr viele das gar nicht gemerkt und das Netz wird eher zufällig als planmäßig besiedelt. Erst seitdem sich in den sozialen Netzen ein Alltag ausbreitet, der mit den demokratischen Ansprüchen sehr wenig zu tun hat, wird der demokratisch ambitionierten Mensch aufmerksam. Zunächst ist er noch verstört, weil die Wiese des herrschaftsfreien Dialogs so sehr vermüllt ist. Er spielt mit dem Gedanken, sich elitär abzusetzen und aus Protest nur noch Bücher zu lesen.
Aber eine andere Wiese gibt es nun mal nicht. Es wird also eine Weile dauern, bis die sozialen Netze mit dem Verständnis der Menschenrechte besiedelt sind.

So ist das nun mal!

Texte der Nazis im Schulunterricht

Ich bin dafür!

Seitdem das Lesenkönnen kein Privileg mehr ist, gibt es immer wieder Versuche mit verbotenen Büchern, das eine oder andere vom Bürger fern zu halten. Es dient seiner Entmündigung, wird aber stets so begründet, dass es zu seinem Schutz dient. Offenbar gibt es zu jeder Zeit bevorzugte Besserwisser, die die sündige Welt schon einmal vorgekaut und vorverdaut haben.
Mit der Hinwendung zu den Menschenrechten hätte bereits klar sein müssen, dass der mündige Bürger es selbst in der Hand haben muss, Texte zu lesen und sich ein Urteil über die Welt zu bilden. Aber es dauert nach vielen Exzessen der Bevormundung bis in die heutige Zeit, dass gegen jede Erkenntnis und Erfahrung der Mensch vor dem Menschen bewahrt werden soll. Ursprünglich galten pauschal alle neuen Ideen als gefährlich. Über Bücher vermittelte Flausen wurden gern, wenn man sie hochrechnete, als gefährdend für überkommene Herrschaftssystem und Herrscher gebrandmarkt. Heutzutage gibt es das in dieser Form wohl noch in Saudi-Arabien und einigen anderen Ländern. Eine eigenwillige Interpretation des Koran kann dort tätliche Folgen haben. Wir haben dagegen gelernt, dass man viele gute Theateraufführungen sehen kann, ohne es direkt zu merken und bei einer schlechten Aufführung erst lernt, was ein gutes Theaterstück überhaupt ausmacht. Wir lesen die Bücher, die wir wollen und gewinnen Kategorien, diese Bücher auch zu beurteilen. Aber leider ist es doch nicht immer so. Es kann sein, dass wir durch Medien für Sichtweisen angefixt werden, die uns beim besten Willen nicht mehr los lassen. Wir tauchen ein und legen unsere Selbstbestimmung ab, in der die Kritik an anderen und an uns selbst aufgehoben ist. Das wird bei dem besagten zweifelhaften Bestseller vergangener Epochen wahrscheinlich nicht so sein. Ihn aus dem Weg zu räumen, bedeutet aber, das alltägliche Feld der Auseinandersetzung so zu begradigen, dass der erstbeste Scharlatan eine Chance bekommt, weil uns das Werkzeug fehlt, ihm zu begegnen. Wenn nun Hitlers „Mein Kampf“ zum Gegenstand es Schulunterrichts wird, dann werden die Werkzeuge zum Umgang damit direkt mitgeliefert. Das sind nicht nur die Werkzeuge der Textanalyse und Textinterpretation, es ist auch das Werkzeug des herrschaftsfreien Gesprächs. Das ist ja noch viel besser, als wenn das Buch einsam bewältigen muss. Und – wie angedeutet – man liest viele gute Bücher, ohne es zu merken. Mit einem schlechten Buch erfahren wir plötzlich, was ein gutes Buch ist.

Ein guter Tip

Jetzt ist wieder die Zeit, in der Tips von Psychologen hoch gehandelt werden. Sie sollen sagen, dass man in dieser Zeit der Terrorgefahr machen soll, was man gern macht, also zum Weihnachtsmarkt gehen. Sie formulieren das sehr unbestimmt. Das mit dem Weihnachtsmarkt wird nur als ein Beispiel angedeutet oder in Zeitungen redaktionell hinzu gefügt.

Ach, ich nehme die Psychologen sehr gern ernst. Ich habe diese Weihnachtsmärkte noch nie gemocht, weil sie die unbedeutenden Dinge dieser Welt so grenzenlos auffächern und Kaufkraft vernichten. Ich gehe lieber woanders oder nirgendwo hin. Und wenn mich nun jemand zu den tollen Weihnachtsmärkten locken will, dann weise ich darauf hin, dass ich lieber mache, was ich will, um der Terrorgefahr adäquat zu begegnen.

Der WDR ist auf Hymne

Der WDR legt ja sehr viel Wert auf den Kontakt zu den Hörern und Schauern, also zum Konsumenten. Deshalb nutzt er ja auch die sozialen Medien, um dort immer wieder Fragen zu stellen, die mutmaßlich jedem eine Antwort erlauben. Das ist die hohe Schule der Kundenbindung.

Dummerweise sind das stets Fragen, deren mögliche Antworten die Welt nicht braucht.

Ich nenne ein Beispiel:

Unter dem Eindruck der Anschläge von Paris wird die Frage gestellt, ob man denn nicht vor dem nächsten Länderspiel gegen die Niederlande die Europahymne spielen sollte. Das erfährt in den Konsumentenkreisen natürlich viel Zuspruch und erlaubt jedem, noch einen persönlichen Akzent zu setzen. Manche wollen die französische Hymne hören, andere die Europahymne und dann die französische Hymne, wieder andere wollen neben diesen beiden Hymnen auch noch die deutsche und die niederländische Hymne hören, und noch ganz andere wollen die libanesische, die syrische, die eritreische, die afghanische und die nepalesische Hymne hören. Eigentlich gibt es keine Hymne, die explizit ausgeschlossen wird und es gibt unzählig viele unterschiedliche Arrangementvorschläge.

Der Erkenntnisgewinn der Frageaktion ist minimal. Der WDR sollte dem Fußballspiel ein mehrtägiges Konzert vorschalten. Aber was die Konsumenten wirklich wollen, das weiß man dort immer noch nicht.

Der Beleg: Lügenpresse nicht nachweisbar!

Ich begründe gern, warum es keine Lügenpresse geben kann.

Das Leben gelingt nur dann zufriedenstellend, wenn wir die Gegebenheiten, Sichtweisen, Meinungen, Stimmungen und Beziehungen nutzen, an einer für uns belastbaren Position arbeiten. Je vielfältiger die Lebenswelt ist, um so besser. Darauf zu warten, dass jemand das für uns macht, um uns dann zu sagen, was „richtig“ ist, führt uns zurück in vertrauliche Autoritätsverhältnisse: Wir verzichten darauf, erwachsen zu werden.

Wir müssen eben lernen, die Vielfalt der Welt und damit auch die Vielfalt der Presseberichterstattung so zu sortieren, dass uns eine Erkenntnis bleibt. Zugegebenermaßen ist das ein schwere und ständige Aufgabe. Wenn sie uns aber gelingt, dann haben wir keine „Lügenpresse“ mehr, sondern unterschiedliche Medien, denen wir unterschiedliche Wertschätzung entgegen bringen.

Das Reden von der „Lügenpresse“ steht also für einen Verzicht darauf, erwachsen zu werden.

Im übrigen ist das Lügen (bis auf wenige Ausnahmen (vor Gericht beispielsweise) nicht verboten. Es gehört zu den Freiräumen, die wir uns zur Entfaltung offen halten müssen.