Der Lehrgang

Das WDR-Magazin Monitor bastelt an einem Lexikon gegen verharmlosende Klimasprache. Zum Beispiel: „Statt Klimawandel sollte es nach Ansicht der Redaktion zum Beispiel besser Klimakrise heißen.

Wandel klinge nach „einem sanften, natürlichen Prozess“.

Ich meine, diese in einem „Lexikon“ vorgelegte Auseinandersetzung muss unbedingt von Angesicht zu Angesicht stattfinden, aber nicht als Lehrgang zum Aufbau eines vereinheitlichten Sprachgebrauchs. So eine mediale Distribution hat nämlich etwas Übergriffiges im Anspruch und in der Wirkung.

Nachdenkung über die Vorbildfunktion

Der Mensch bastelt ja gern komplexe Substantive, um seinen Vorträgen Nachdruck zu verleihen. Früher war das offenbar nicht so sehr nötig. Noch vor einer Generation hieß es beispielsweise „Vorbild sein“, heute heißt es „Vorbildfunktion haben“.

Ich mag diese neue Überrüstung der Sprache nicht. Sie wirkt martialisch und verhindert dadurch auch, bestimmte Gespächsbeiträge zu bedenken. Sein ist ja immer authentischer als haben (siehe Erich Fromm) und eine Funktion ist ja eine abgeleitete Größe, die ja gar keine Rolle spielt, wenn es um sein oder haben geht.

Um am Beispiel zu bleiben: Das Vorbild an sich wabert seit hunderten von Jahren durch die Geschichte und ist seit jeher an die Idee gebunden, man würde durch reines Nacheifern erwachsen. Das galt für mittelalterlich gut integrierte Gesellschaften und gilt heute noch in wenigen Situationen bei Kindern, die entwicklungsbedingt noch in einer Rollenidentität leben. Für Erwachsene in der Gegenwart und für Kinder ab der Grenze zur sozialen Autonomie ist das Vorbild wertlos, wenn man nicht gerade verbindlich vorgeben will, was er zu tun und zu lassen, zu meinen und zu wünschen hat. Besser ist auf jeden Fall eine flexible Ich-Identität, in der autonome Mensch Kontakte zu allen anderen Menschen gestalten und verantworten kann – Diversität und Inklusion.

Also lasst doch einfach die überrüstete Sprache und alle Vorbilder in euren Denkgebäuden weg! Wir werden uns freuen.

Der Meteorologe an sich ist übergriffig

Wir wollen heute wissen, wie das Wetter morgen sein wird. Der Rat des erfahrenen Landmanns reicht uns nicht aus. Wir beanspruchen den Meteorologen, der sogar Wahrscheinlichkeiten berechnen kann. Er pflegt eine eigene Fachterminologie, will aber seine Kenntnisse für den Bürger nutzbar machen. Er übersetzt und bedient etliche Medienkanäle immer wieder neu. Informationen über das Wetter sind eine leicht verderbliche Ware. Das Wetter von Gestern ist fast schon nutzlos, wenn man nicht gerade langzeitliche Entwicklungen dokumentieren will. Meine Wetterapp zeigt kein vergangenes Wetter an. Aber selbst in die Zukunft gerichtet sind Wetterprognosen mit einem gewissen Risiko behaftet, weil eine schnell unübersehbare Vielfalt der Messdaten anfällt, die Vorhersagen für längere Zeiträume nicht besser machen, als historische Wetterregeln.

Es gibt einen gnadenlosen Wettbewerb der  Meteorologen um Kunden und um Werbekunden, die das Vehikel Wetterbericht auf dem Weg zum Kunden als Trittbrettfahrer mit nutzen.

Die Kundenbindung erfolgt schließlich über den sympathischen Wettermoderator – der meist direkt auch der fachkompetente Meteorologe ist – und sein Vermögen, den Kunden als lernbereiten Menschen in seine Denkwelten einzubinden und ihm schließlich „sein“ Wetter in Serie anzubieten. „Bleiben Sie dran!“ Er erzählt etwas über den Golfstrom, den Schwund des Polareises, die Isobaren auf der Karte, das Tiefdruckgebiet namens Norbert, das gerade das Hochdruckgebiet  namens Jutta abgelöst hat. Und dann wird es kritisch: Er redet von einem meteorologischen Sommer, den es gar nicht gibt und der von der Riege der Meteorologen nur neu eingeführt wurde, weil er sich rechentechnisch lieber am Kalendermonat als an den Jahreszeiten orientiert. Er schafft damit Futter für irrsinnig viele Journalisten, die immer mal wieder und überflüssigerweise eine Jahreszeit zweimal anfangen lassen und gebührend feiern. Dann reden die Meteorologen im System der Temperaturscala nach Kelvin, weil das der Meteorologe unter bestimmten Bedingungen so macht, man aber ebenso gut Celsius sagen könnte. Ja und dann wird der Meteorologe sprachgestalterisch aktiv und macht aus starkem Regen das Gütesiegel des Starkregens und verhunzt mit einem Anspruch auf fachmetheorologische Gültigkeit die Sprache, die er eigentlich nur von den Bürgern – dem Sprachsouverän – geborgt hat. Und jetzt wird es ganz bescheuert: Der Meteorologe führt den „heftigen Starkregen“ ein, der in jedem Deutschaufsatz zu zweifacher Beanstandung einen Anlass geben würde.

Solche Besserwissigkeiten der Wetterfachkräfte ärgern mich von mal zu mal. Man kann ehrliches Wetter nämlich ohne fragwürdige Ad-ons unter das Volk bringen. Ich führe jetzt eine schwarze Liste der übergriffigen Wetterhändler.

Aber vielleicht hat das ja alles damit zu tun, dass der Deutsche – wie mir einmal so ein Wetterhändler vermittelt hat – dazu neigt, einen Wind unter ganz bestimmten Bedingungen Durchzug zu nennen, obwohl es eben nichts anderes als Wind ist und international auch so gehandelt wird. Ich glaube, es ist so! Wenn mein englischer Besuch im Durchzug sitzt, dann werde ich nichts von Wind sagen. Ich sage dann: „You are sitting in the  through train!“ und erzähle dann the fairy tale from the weather frog …

Du kannst es Durchzug nennen.
Für mich ist es Wind.

Namensalat

Ich vertrete ja gern offen meine Ansicht, dass man über Eigennamen keine Witze machen soll, weil man sich seinen Namen ja nicht selbst aussucht und also nichts dafür kann, dass man damit gekennzeichnet ist.

Nun ist es aber so, dass es immer wieder Vorkommnisse gibt, die sich ungerecht auf Namen verteilen. Es ist ewig lange her, als ich mit vielen Menschen auf den Referenten namens Reuter wartete und jemand dann sagt: „Reuter – Reuter ist wie Meier — großes R …“ und alle mit kurzer Verzögerung loslachten. Beide Namen sind für mich seitdem dauerhaft mit Eiern und Eutern besetzt und nicht neutral zu benutzen. Ich kann nichts dazu.

Mein eigener Name stößt auch auf viel Unverständnis. Ich heiße Ortmann. Allein, dass mein Name mit einem Vokal anfängt, zwingt uns bei der Aussprache zu einem heftigen glottalen Plosiv, noch bevor das O sich weich in die Aussprache einschmiegt. Wer meinen Namen hört, gewinnt schnell den falschen Eindruck, da würde mit einer Nachlässigkeit ein ganzer Konsonant abgeräumt. Und prompt neigt der Hörer dazu, irgend einen Konsonanten am Anfang des Namens gehört haben zu wollen. Ganz traurig war es mit dem Herrn O der sich mir einmal vorstellte. Er war Koreaner. Ich wartete vergeblich auf die Nennung seines Namens, auch als er ihn schon in vollständiger Länge vorgetragen hatte. Das Publikum feixte schon. Er war verzweifelt und trotzdem gezwungen, das alles irgendwie lustig zu nehmen, wenn er außerhalb Koreas Fuß fassen wollte.

Mein Name hat – wie jeder Name – eine festgelegte Abfolge ganz bestimmter Buchstaben. Aber stets sagen die Leute: „Mit oder ohne H?“ Würde der Name mit H geschrieben, brauchte ich nur ja zu sagen. Nun hat mein Name aber überhaupt kein H. Ich erlebe die Frage so, als würden die Leute fragen, ob der Name denn mit Y geschrieben wird. Wo sollten denn solche Buchstaben her und hin kommen? Weil das H ja auch stimmlos genutzt werden kann, könnte das H ja überall stehen, ohne dass man es so einfach heraushören würde. Es könnte zusätzlich dort stehen, aber auch im Austausch mit anderen Buchstaben, die etwas im Sprachgebrauch untergehen, wie etwa Doppelbuchstaben. Welche anderen Buchstaben auch noch lauern, das weiß ich nicht.  Das H ist mir jedenfalls sehr verdächtig. Ich bewältige die Situation immer mit der Kurzbezeichnung „Ort wie Dorf und Mann wie Frau“. Dann wechsle ich das Thema und rede über pigmentierte Hautfarben.

Danach bin ich dann unweigerlich wieder mit dem erschütternden glottalen Plosiv befasst und versinke in einer depressiven Stimmung. Allen Bürgern mit dem Anfangsbuchstaben O im Namen rate ich, eine Selbsthilfegruppe zu gründen oder mit namenändernder Absicht eine neue Lebenspartnerschaft einzugehen. Allen Bürgern, die vor einer H-Implantation überwältigt werden, rate ich, Reißaus zu nehmen.

Wenn meine Stimmung einmal wieder auf dem Siedepunkt sein sollte, werde ich über meine Erlebnisse mit den Herren Hrb, Przybiski und Gfreiter berichten. Aber dazu wird es vermutlich nicht kommen.

Sosang

Wer langsamer spricht als er denkt, erlebt einen Stau gesprochener Worte, der unweigerlich in einer Sprachlosigkeit mündet.

Wer allerdings schneller redet als er denkt, tendiert zu automatisierten Floskeln, die den Gedanken die Chance geben, mit dem gesprochenen Wort Schritt zu halten.

Die mit Abstand liebste und sinnleerste Floskel der Deutschen heißt „so zu sagen‟.

Irgendwann merkt man aber, dass man das So-zu-sagen inflationär verwendet und damit sogar so schnell sprechen kann wie andere, ohne den Anschluss an die Gedanken zu verlieren. Bevor der Zuhörer mitleidig lächelt nutzt man meist die Chance, so eine Floskel nicht nur zum Floskelkatalog auszubauen, sondern auch bis zu Unkenntlichkeit zu modulieren. Jetzt weiß ich auch, warum ein hier nicht namentlich genannter Journalist immer wieder von „sosang-igrunom-niwa‟ spricht. Er ist im Grunde genommen ein Experte seines Fachs. Nicht wahr?

Das Wort ist schuld

Ein Abgeordneter durfte laut Gerichtsentscheidung in einem Parlament unter bestimmten Umständen Neger sagen. Das Gericht führte unter anderem aus, dass über die Berechtigung von Wörtern nicht zu entscheiden ist, sondern über konkrete Einlassungen des Abgeordneten.

Das ist Anlass für eine Unterschriftensammlung, die ich nur ungern Petition nenne (Artikel 17 GG), das Wort Neger selbst zu verbieten. Es wird in der Presseberichterstattung als N-Wort bezeichnet. Die Unterschriftensammlung erfolgt in einer der populären und positionslosen Onlinepetitionsmaschinen.

Die Sprache ist ja eine hervorragende Form, sich mitzuteilen. Deshalb gehört der Gebrauch der Sprache der Gemeinschaft der Sprechenden. Es gibt keine verbindlichen Definitionen. Das Sprechen ist geprägt von der Absicht, sich zu verständigen. Das geht nur, wenn man bemüht ist, die abweichende Wortwahl des anderen zu berücksichtigen. Die Gewissheit, sich verstanden zu haben erhält man nur im Gespräch, das immer auch etwas Missverständnis beinhaltet. Das ist unvermeidlich und demokratisch.

Es gibt viel gescheiterte Versuche, Menschen bestimmte Wörter zu verordnen oder zu verbieten. Sie sind letztlich alle gescheitert. Wir denken unweigerlich an George Orwells Roman 1983.

Wenn nun jemand Neger denkt und es aber nicht sagen darf, dann verstecken wir mit der Vorschrift lediglich seine Gedanken. Damit ist nicht viel gewonnen. Es wäre richtiger, seine Gedanken über die Sprache aufzunehmen und eine Gegenrede zu starten. Er selbst würde für seine Sprachlosigkeit ein Ventil suchen. Da hat er viele Möglichkeiten, die nicht alle strafbar sind. Er kann N-Wort sagen. Er kann auf Metapher zurückgreifen, neue Wörter erfinden, mehrere Wörter mit Schnittmenge zum Wort Neger kunstvoll kombinieren. Er kann gewalttätig werden oder sich in Subkulturen bewegen, die das Wort Neger nicht beanstanden. Und das ist längst noch nicht alles, was er machen kann. 

Ich halte vom Verbot konkreter Wörter nichts. Sie sind praktisch und auch rechtlich ohnehin nicht einzuhegen. Einzuhegen ist aber der sich äußernde Rassist. Man macht das am besten direkt mit einer deutlichen Gegenrede, an der sich erforderlichenfalls auch viele andere beteiligen können, also in der offenen Gesellschaft und nicht vor dem Gericht. Gleichwohl können Menschen für rassistische Auftritte bestraft werden. Dazu muss man erforderlichenfalls auch den Instanzenweg ausschöpfen oder auch verbesserte Rechtsnormen auf den Weg geben.

Nicht ein Wort ist der Übeltäter, ein Mensch ist es.

Vossianische Antonomasie als Floskel

Ich würde die Überschrift auch nicht verstehen, wenn ich sie mir nicht erarbeitet hätte.

Floskeln sind ja die Minitextbausteine der schnellen Medienwelt. Sie nutzen als erstes ideenlosen Journalisten und ihrem redaktionellen Überbau.

Betrachtet man ein berichtenswertes Ereignis, dann erhöhen Floskeln gern die Aufmerksamkeit des Lesers. Floskeln schieben das Ereignis aber auch in den Bereich der Fehldeutung und der Lächerlichkeit. Sie werden ja mittlerweile im Internet gut dokumentiert 🔲 . Beim Floskelleser werden Nachdenklichkeit, Kritik und Freude ausgelöst, wenn man eine Floskel einfach nur mal als Floskel betrachtet. Das ist aber meist nicht beabsichtigt, sondern ein Abstract in wenigsten Worten. So lange der Leser weiterliest, muss man sich über den weiteren Sinn der Floskel keine Sorgen machen.

Allerdings war die Floskel auch schon lange vor dem digitalen Zeitalter beliebt und wurde geradezu unsterblich in den Titelzeilen der Lokalpresse. Um gelesen zu werden bestand schon lange ein Konkurrenzdruck zwischen den Blättern und zwischen ihren Journalisten.

Eine dieser Floskeln läuft mir immer wieder über den Schirm: Sie lautet vereinfacht so: Politikerin X ist die Mutter Courage eines lokalen Bereichs X oder einer Institution Y. Also zum Beispiel: Regine Hildebrandt ist die Mutter Courage der SPD. Betrachtet man nun andere Personen oder andere Institutionen, findet man immer wieder so eine Mutter Courage. Eine gewisse Luise Albertz wird als Mutter Courage Oberhausens geführt. Eine Inge Donnep und eine Hannelore Kraft gar als Mutter Courage des Ruhrgebiets. Dies nur, um über ein Beispiel aufzuzeigen, wie gewaltig so ein Mutter-Couragismus um sich greift. Urheber kann doch nur ein unbewanderter Journalist auf der Jagd nach einer markanten Schlagzeile gewesen sein.

Nachdem Bertolt Brecht in den Wirren des Krieges das Drama „Mutter Courage und ihre Kinder“ entworfen und in der Nachkriegszeit damit die Theater beschäftigt hat, zogen die Zeitungsredakteure daraus als unbestelltes Nebenprodukt eine Floskel.

In dem Drama selbst ist die Hauptfigur Mutter Courage unverbesserlich davon beseelt, als unbedeutende Marketenderin vom 30-jährigem Krieg zu profitieren. Das gelingt ihr nicht. Sie bleibt lernunfähig und veränderungsresistent. Selbst nachdem ihre drei Kinder dem Krieg zum Opfer gefallen sind, bleibt sie bei ihrer Ideologie.

Die Figur der Mutter Courage bietet sich also mit keiner Eigenschaft an, einen vielleicht verdienstvollen Menschen mit einer vossianische Antonomasie [X ist Y der Z] auszuzeichnen. An dem, was sie macht ist nichts verdienstvoll. Wir haben es hier also mit einem verfloskelten Selbstläufer zu tun, der – einmal in die Welt gesetzt – durch allerlei Schriftwerk wabert, ohne je befragt zu worden zu sein. Wenn man nun merkt, dass die jeweils „Ausgezeichnete“ auch nur eine Figur im Cosmos aller Mütter Courage ist, dann ist die Auszeichnung auch deshalb dahin. Man beschriebe viel besser, was die jeweilige Frau tatsächlich gemacht hat.

Russisch Brot

Mit der uralten Industriebackware „russisch Brot“ werden die wehrlosen Kinder im Erstleseunterricht kontaminiert, meistens aber bereits im Kindergärten und in ehrgeizigen Elternhäusern.

Bei näherer Betrachtung müsste der kritische Mensch aber sofort merken, dass es sich bei diesem Produkt um einen Beitrag zur Weltverschwörung handelt, weil der Russe ja in kyrillischen Buchstaben schreibt. Entsprechend sind die Ergebnisse!

Meistens kommen ja auch nur Worte dabei heraus, wie


Babuschka lassen wir mal weg.

Warum reden wir eigentlich von Antisemitismus?

Die Feindlichkeit gegenüber den Juden besteht schon lange. Weil das Christentum aus dem Judentum hervorgegangen ist und der christliche Gottessohn Jesus zeitlebens ein Jude war, wurde lange die Tür zur Bekehrung der Juden offen gehalten und das Judentum als Vorstufe zum Christentum etwas höher bewertet, als andere nichtchristlicher Religionen. Das Angebot und der Druck zum Wechsel waren so wirksam, dass viele davon Gebrauch machten. Die weiterhin überzeugten Juden sahen sich allerdings Bewegungen ausgesetzt, die Juden als kollektiven Sündenbock für dies und jenes zu nutzen. Diese Bewegungen waren stets mit einen starken Nationalismus ideologisch aufgeladen, der zur eigenen Rechtfertigung immer wieder einen Hinweis auf die brauchte, die außerhalb der Nation und der Gesellschaft standen. Noch heute wird mit der Frage: „Wer oder was gehört zu Deutschland?“ ausgegrenzt. Ernstzunehmende Philosophen und Naturwissenschaftler versuchten fortan ergänzend die passende Theorie zur Judenfeindlichkeit aufzustellen. Bei diesem Basteln an wissenschaftlichen Begründungen wurden auch direkt Termini eingeführt, die besonders stark irgendwie wissenschaftlich rüberkamen. Aus diesem Dunstkreis kommen die Rassentheorien und das Reden vom (Anti-) Semitismus. Semiten sind ja – wenn man der Wortbedeutung folgt – die Nachfahren des biblischen Urvaters Sem. Nach heutigem Verständnis sind das Juden und Araber. Das Wort Antisemitismus hat sich als irgendwann als Judenfeindlichkeit etabliert. Würde man zur semantischen Wurzel zurück gehen, wäre beispielsweise der geschürte Konflikt zwischen Juden und Palästinensern einfach zu bereinigen, zumal sie sich kulturell näher sind als beide wahrhaben wollen. Das Essen ist beispielsweise nahezu identisch und die Sprache zeigt viele Ähnlichkeiten. Würde man sich von der fehlgeleiteten akademischen Judenfeindlichkeit als Antisemitismus befreien, könnte man auch wieder von Judenfeindlichkeit reden, um sie sinnvollerweise abzuschaffen.
Aber weil die Vielzahl der sprechenden Menschen bestimmt, was mit welcher Bedeutung gesprochen wird, bleibt es wie es ist: Alle sprechen bedeutungsvoll von Antisemitismus. Ich würde bedeutungsgerecht viel lieber von Judenfeindlichkeit reden. Wir würden gegebenenfalls sofort merken, dass wir das nicht wollen. — Wer macht mit?