Nachdenkung über die Vorbildfunktion

Der Mensch bastelt ja gern komplexe Substantive, um seinen Vorträgen Nachdruck zu verleihen. Früher war das offenbar nicht so sehr nötig. Noch vor einer Generation hieß es beispielsweise „Vorbild sein“, heute heißt es „Vorbildfunktion haben“.

Ich mag diese neue Überrüstung der Sprache nicht. Sie wirkt martialisch und verhindert dadurch auch, bestimmte Gespächsbeiträge zu bedenken. Sein ist ja immer authentischer als haben (siehe Erich Fromm) und eine Funktion ist ja eine abgeleitete Größe, die ja gar keine Rolle spielt, wenn es um sein oder haben geht.

Um am Beispiel zu bleiben: Das Vorbild an sich wabert seit hunderten von Jahren durch die Geschichte und ist seit jeher an die Idee gebunden, man würde durch reines Nacheifern erwachsen. Das galt für mittelalterlich gut integrierte Gesellschaften und gilt heute noch in wenigen Situationen bei Kindern, die entwicklungsbedingt noch in einer Rollenidentität leben. Für Erwachsene in der Gegenwart und für Kinder ab der Grenze zur sozialen Autonomie ist das Vorbild wertlos, wenn man nicht gerade verbindlich vorgeben will, was er zu tun und zu lassen, zu meinen und zu wünschen hat. Besser ist auf jeden Fall eine flexible Ich-Identität, in der autonome Mensch Kontakte zu allen anderen Menschen gestalten und verantworten kann – Diversität und Inklusion.

Also lasst doch einfach die überrüstete Sprache und alle Vorbilder in euren Denkgebäuden weg! Wir werden uns freuen.

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