Was Zeitungen nicht schreiben …

Das ist eine ganze Menge, was Tag für Tag so in Zeitungen so geschrieben wird. Die Texte sind manchmal gut und verständlich, manchmal aber auch schlecht oder nur mühsam zu verstehen. Einige Zeitungen gelten für ihre potentiellen Leser als besonders gut, andere wiederum als hauptsächlich schlecht. In solchen Beurteilungen spiegeln sich nicht nur prüfbare Fakten sondern auch Vorlieben der Leser. Der Leser entscheidet im Idealfall, welche Zeitung er liest und nicht die Zeitung, von wem sie gelesen wird. Wie dem auch sei, man muss sich allererst die Zeitung kaufen, um einem Thema oder einer sichtbaren Schlagzeile auf die Spur zu kommen. Meistens ist man dann aber enttäuscht. Denn viele Schlagzeilen locken in die Irre und man kauft dazu auch eine Menge weiterer Texte mit, die das eigene Interesse meist nur peripher streifen.

Wer die einzeln gekaufte Zeitung eigentlich nicht braucht, interessiert sich aber doch für deren Onlineausgabe. Ich habe damals mein Jahrzehnte währendes Abo einer allgemein hochgeschätzten Zeitung gekündigt, als ich nach einer kostenlosen Anfixphase die inhaltlich identische Onlineausgabe noch einmal zusätzlich hätte abonnieren müssen. Das fand ich extrem abgeschmackt und war verärgert.

Ich schätze seitdem die absolute Vielfalt der kostenlos und online verfügbaren Presseartikel sehr. Zu allen Themen gibt es kostenlose Texte bester Qualität. Es gibt auch viel Mist, aber daran kann man in alter Tradition gut vorbei lesen. Nun ist es aber so, dass Zeitungen nur widerwillig von ihrer Printabteilung Abschied nehmen und weiterhin mit gedruckten Texten Geld verdienen wollen, das sie dem Leser abverlangen. Dabei hat der Leser auch früher bestenfalls den Zeitungsboten bezahlt. Die Werbung und eine Vielfalt von Anzeigen haben aber die Wirtschaftlichkeit sichergestellt. Werbung und Anzeigen haben mittlerweile kaum noch eine Bedeutung für Zeitungen. Sie sind abgewandert. Und das Geld, speziell für Journalistentexte – das eigentliche Produkt – will auch nicht so recht fließen. 

Einige Zeitungen folgen jetzt dem Grundsatz der unbeschränkten Zugänglichkeit im Internet. Die TAZ argumentiert beispielsweise, dass es nicht sein soll, dass die Ergebnisse journalistischer Arbeit der allgemeinen Öffentlichkeit vorenthalten bleiben. Die meisten Zeitungen aber klammern sich an die Paywall, um Geld zu generieren, das wahrscheinlich kaum verfügbar ist. Sie überschwemmen mit Andeutungtexten die sozialen Netzwerke und werden bei geschickter Überschriftengestaltung und mit verheißungsvollen Teasern immer wieder beachtet. Doch dann beginnt der Konsument, sich für das Thema zu interessieren. Es klickt auf die Seite, die den Artikel verspricht. Er landet in einem Text, der nach einigen Zeilen bis ins Unlesbare seine Farbe verliert. Dahinter steht das Angebot, den Text zu kaufen oder gar direkt ein Abo abzuschließen, also direkt für tausende von unbekannten und noch nicht geschriebenen Texten. Der Leser hat mal wieder einige Minuten investiert – und findet das sehr, sehr ärgerlich. Er wird in der Paywallfalle einen Teufel tun und auch noch Geld bezahlen. Zum Thema findet er auch lesbare Texte, wenn er den Notausgang aus der Fälle wählt und anderenorts stöbert.

Aber es ist ja noch schlimmer. Denn die Überschrift, der Teaser und meist ein Symbolbild fluten bereits unbegrenzt die Welt aller sozialen Netzwerke. Und wie es in solchen Kommunikationsmedien so ist, wird auf dieser Basis über einen Artikel diskutiert und gemutmaßt, obwohl er gar nicht verfügbar ist. Es geht also plötzlich auch ganz ohne Text und man vergisst bald zu fragen, ob die Journalistenarbeit überhaupt gebraucht wird oder auf dem Friedhof allerbester aber ungelesener Texte auf Dauer verweilen darf. Jedenfalls ist der ungelesene Text per se wertlos. Bei so manchen Gesprächsbeitrag in den sozialen Netzwerken kommt dann zwar der Gedanke, dass ein guter Text auch zu einer besseren Diskussion führen würde. Aber das ist allzu hypothetisch. Die einfältige Zeitung bricht jedenfalls einen Disput vom Zaun ohne selbst Argumente zu seiner Bewältigung zu liefern. Manchmal ist es gar so, dass ein Thema von herausragendem kommunalen Interesse mittels Paywall nicht zum Zuge kommt und der interessierte und betroffene Bürger erst seine Volksvertreter bemühen muss, weil die Lokalausgabe einer Zeitung eben nichts liefert.

Am 3. März 2021 gab es in einer Lokalausgabe der Rheinischen Post unter der Titelzeile: „Urteilsspruch am Landgericht Mönchengladbach: „Fabio wurde Tag für Tag gequält“ wieder so ein Paywallplacebo mit weitreichender Wirkung. Es ging um den Tod eines 5-Jährigen, der vom Freund der Mutter zu Tode misshandelt wurde, wobei die Mutter nichts unternommen hat, das zu verhindern. In den sozialen Netzwerken gab es also nur die Überschrift und es gesellten sich dazu eine unüberschaubare Zahl von Hobbyrichtern, die ohne Kenntnis des Falls mit rassistischer und menschenverachtender Attitüde noch mehr als die Todesstrafe forderten und die Justiz beschimpften. Und dann kam auch noch die Drohung aus der Szene: „Ich sage jetzt besser nicht, was ich denke!“ Die Zeitung konnte sich über zahlreichen Klicks freuen, hat aber überhaupt nichts dazu beigetragen, die Kommentare zur Überschrift mit Verantwortung so zu moderieren, dass man hätte zufrieden sein können. 

Eine Zeitung, die nichts liefert, ist ziemlich unbrauchbar und überflüssig. 

Jetzt nur mal so als Experiment: Du darfst das hier eigentlich gar nicht lese – bis auf die Überschrift. Du musst erst einmal, sagen wir 3,80€, auf mein Konto überweisen.
Ich bin gespannt …

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