Vossianische Antonomasie als Floskel

Ich würde die Überschrift auch nicht verstehen, wenn ich sie mir nicht erarbeitet hätte.

Floskeln sind ja die Minitextbausteine der schnellen Medienwelt. Sie nutzen als erstes ideenlosen Journalisten und ihrem redaktionellen Überbau.

Betrachtet man ein berichtenswertes Ereignis, dann erhöhen Floskeln gern die Aufmerksamkeit des Lesers. Floskeln schieben das Ereignis aber auch in den Bereich der Fehldeutung und der Lächerlichkeit. Sie werden ja mittlerweile im Internet gut dokumentiert 🔲 . Beim Floskelleser werden Nachdenklichkeit, Kritik und Freude ausgelöst, wenn man eine Floskel einfach nur mal als Floskel betrachtet. Das ist aber meist nicht beabsichtigt, sondern ein Abstract in wenigsten Worten. So lange der Leser weiterliest, muss man sich über den weiteren Sinn der Floskel keine Sorgen machen.

Allerdings war die Floskel auch schon lange vor dem digitalen Zeitalter beliebt und wurde geradezu unsterblich in den Titelzeilen der Lokalpresse. Um gelesen zu werden bestand schon lange ein Konkurrenzdruck zwischen den Blättern und zwischen ihren Journalisten.

Eine dieser Floskeln läuft mir immer wieder über den Schirm: Sie lautet vereinfacht so: Politikerin X ist die Mutter Courage eines lokalen Bereichs X oder einer Institution Y. Also zum Beispiel: Regine Hildebrandt ist die Mutter Courage der SPD. Betrachtet man nun andere Personen oder andere Institutionen, findet man immer wieder so eine Mutter Courage. Eine gewisse Luise Albertz wird als Mutter Courage Oberhausens geführt. Eine Inge Donnep und eine Hannelore Kraft gar als Mutter Courage des Ruhrgebiets. Dies nur, um über ein Beispiel aufzuzeigen, wie gewaltig so ein Mutter-Couragismus um sich greift. Urheber kann doch nur ein unbewanderter Journalist auf der Jagd nach einer markanten Schlagzeile gewesen sein.

Nachdem Bertolt Brecht in den Wirren des Krieges das Drama „Mutter Courage und ihre Kinder“ entworfen und in der Nachkriegszeit damit die Theater beschäftigt hat, zogen die Zeitungsredakteure daraus als unbestelltes Nebenprodukt eine Floskel.

In dem Drama selbst ist die Hauptfigur Mutter Courage unverbesserlich davon beseelt, als unbedeutende Marketenderin vom 30-jährigem Krieg zu profitieren. Das gelingt ihr nicht. Sie bleibt lernunfähig und veränderungsresistent. Selbst nachdem ihre drei Kinder dem Krieg zum Opfer gefallen sind, bleibt sie bei ihrer Ideologie.

Die Figur der Mutter Courage bietet sich also mit keiner Eigenschaft an, einen vielleicht verdienstvollen Menschen mit einer vossianische Antonomasie [X ist Y der Z] auszuzeichnen. An dem, was sie macht ist nichts verdienstvoll. Wir haben es hier also mit einem verfloskelten Selbstläufer zu tun, der – einmal in die Welt gesetzt – durch allerlei Schriftwerk wabert, ohne je befragt zu worden zu sein. Wenn man nun merkt, dass die jeweils „Ausgezeichnete“ auch nur eine Figur im Cosmos aller Mütter Courage ist, dann ist die Auszeichnung auch deshalb dahin. Man beschriebe viel besser, was die jeweilige Frau tatsächlich gemacht hat.

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