Hängen im Schacht – ein paar Kohlen aus einem Leben …

Die Kohleförderung im Ruhrgebiet ist nach 200 Jahren beendet. Ich bin ja mitten im Ruhrgebiet groß geworden. Da ist man am Bergbau nur selten vorbeigekommen. Es hat sehr lange gedauert, bis mir klar war, dass das mit der Kohle eine Episode von geschichtlich sehr übersichtlicher Dauer war und bleiben würde.

Der Schacht, in dem ich einmal besuchsweise auf 1000 Meter durfte, der stand sogar auf einer grünen, umwaldeten Wiese. Da fiel es nicht schwer, zu rekonstruieren, dass die ganze Gegend noch zu Urgroßvaters Zeiten insgesamt grün und bäuerlich geprägt war. Und trotz aller urbanen Verdichtung kannte und kennt dort jeder irgendeinen Bauernhof in seiner Nähe.

Auf so einem ehemaligen Bauernhof in unmittelbarer Nachbarschaft der Zeche Rosenblumendelle habe ich meine Kindheit verbracht. Mein Vater hatte dort auch seinen Handwerksbetrieb, direkt gegenüber der Wohnung. Ich spielte auf dem Land und war doch ein richtiges Kind der Stadt. Beim Schichtwechsel töte die Sirene in einer Lautstärke, dass bis zum Abschwellent jedes Gespräch unmöglich war. Man stellte auch seine Uhr danach oder setzte mit der Sirene die Kartoffeln auf.

Wann das in meiner Familie mit dem Bergbau angefangen hat, das weiß ich nicht. Meine Oma sagte immer: „Wir dienen dem Hause Stinnes schon seit 150 Jahren.“ Sie hat dabei wohl alle Beschäftigungszeiten in der Verwandtschaft zusammengezählt. Mein Großvater väterlicherseits war Bergmann. Ich habe ihn noch 5 Jahre erlebt. Er war mit seiner Staublunge schon lange in Rente und total witzig. Er trug aus Zweckmäßigkeitsgründen eine Glatze, unterhielt die ganze Hausgemeinschaft, erledigte Einkäufe und kroste im Garten. Das war die Zeit, in der man auch noch gern als Selbstversorger Tabak anbaute. Für die Hühner und für mich schnitt er immer die Brotkrusten klein. Zum Geburtstag bekam ich einmal eine Riesentüte mit getrockneten Brotkrusten. Es war ein Spaß, aber ich habe mich gefreut. Einmal schickte er mich und die anderen Kinder durch die Nachbarschaft. Wir sollten Persil besorgen, um die Hühner zu waschen. Eines meiner Spielzeuge war eine Hühnerpfote, die man bewegen konnte, wenn man an der Sehne zog. In unmittelbarer Nähe – erzählte man – wurde infolge plötzlicher Bergschäden ein ganzes Fuhrwerk verschluckt. Das war mir unheimlich, machte aber niemanden ängstlich.

Mein anderer Opa arbeitete in weißem Hemd und Anzug in der Bergschädenabteilung. Irgendwo steht, er sei „Bergwerksbeamter“ gewesen. Er war wohl wichtig, aber was er genau gemacht hat, weiß ich nicht. Er hatte aber ein Telefon im Bureau. Er war ebenfalls frühzeitig, allerdings wegen einer Herzerkrankung, Rentner und für mich immer etwas unnahbar. Meine Oma erzählte noch lange, dass er bei seinem Betriebsjubiläum geweint habe, als der Bergmannschor das Steigerlied gesungen habe.

Mein Vater war auch auf dem Pütt. Als er mit 25 Jahren aus dem Krieg kam, war für ihn nicht daran zu denken, sein Maschinenbaustudium fortzusetzen. Essen, trinken und wohnen waren wichtig, garniert von kleinen Alltagsfreuden. Die Opas hatten ihm einen Job unter Tage besorgt, da konnte er erst einmal als gelernter Schlosser arbeiten. Es gab zunächst nur dort gutes Geld, ein Kohledeputat und allerlei Lebensmittelunterstützungen. Meine Mutter bekam wohl während der Schwangerschaft mit mir die legendären Butterbrote von der Zeche, weil sie die am besten vertrug. Nach zwei Jahren wechselte mein Vater zur AEG und bereitete unsere Auswanderung nach Kanada vor. Er hatte schon das Schiff gebucht. Mein Vater konnte gut französisch, meine Mutter gut englisch. Das hätte gepasst. Und das Ein- und Auswandern passt ja immer schon ins Ruhrgebiet.

Als dann beide Großväter 1952 starben, war das Familienkapitel Bergbau beendet und die Auswanderung auch, bevor sie begonnen hatte. Denn die Omas wollten nicht allein bleiben. Überliefert sind die Bergbaugeschichten meines Vaters. Ich habe viele davon gehört. Am meisten beeindruckt haben mich die Grubenpferde, die ihr Leben unter Tage beendeten, dort aber bestens versorgt und umsorgt wurden. Im Tageslicht wären sie erblinden und hätten auch sonst kaum kaum gesundheitlich überleben können.
Ebenfalls beeindruckt hat mich, dass man unter Tage von Zeche zu Zeche fahren konnte, also praktisch durch die ganze Stadt. Für mich war das eine fantasievolle Alternative zur Straßenbahn.
Heute erzähle ich alle Geschichten sehr gern weiter.

Nur mal so …

Ach, das passt doch auch zum Aufbruch ins neue Jahr 2019 …
begeht es mit Freude, achtsam und nachhaltig.

Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.