Helfen Tafeln den Armen? – Nicht unbedingt!

Der tumbe Tafelchef aus Essen mit dem ewig rotkugeligen Outfit hat ja bisher wirklich nicht viel gesagt, ist dabei aber unbeugsam. Das ist ein gefundenes Fressen für alle Kommentatoren, ihre Leserschaft pro und contra zu versorgen.  In diesen Tagen sind die Medien voll davon und alle reden mit. Zur Erklärung seiner sonderlichen Vorstellungen vom fremden Menschen hat besagter Tafelchef dann auch noch einen Einblick in seine gentheoretische Denkwelt gegeben und das Nehmer-Gen zur Vereinnahmung von Obst, Gemüse und anderen Gütern bei Syrern und Russlanddeutschen beklagt. Es klingt bereits der „lebensbejahende, afrikanische Ausbreitungstyp“ an, wie ihn der rechtsradikale Thüringer Bernd Höcke ausgemacht haben will.

Kann es nicht sein, dass der ungebändigte Run auf die Tafeln ein Problem zur Ursache hat, das den Tafeln vorausgeht?
Kann es gar sein, dass der Tafelmann unter einem großen Irrtum arbeitet und ein Opfer eines naiven Hilfearrangements ist, bei dem das Kistenschleppen irgendwann unvorbereitet zum Nachdenken über große Fragen auffordert?

Im Rahmen der Gesetzgebung werden die Leistungen für ein menschenwürdiges Leben festgelegt. Das soll also nicht nur so sein, das ist so! Derzeit gilt, dass 416€ für den einzelnen erwachsenen Menschen dazu ausreichen. Dazu gibt es aus Expertenkreisen und Sozialverbänden erheblichen Widerspruch: Es ist zu wenig!

Unabhängig davon ist, dass ein Minimum, gleichgültig wie es ausfällt, immer als zu wenig erlebt wird. Man hat also gern etwas mehr. Das ist sehr verständlich.

Eigentlich bedarf es also der Tafeln nicht, wenn die 416€ ausreichen. Es ist sogar gesetzlich vorgesehen, dass andere Einkünfte und Zuwendungen ihrem Wert entsprechend von den 416€ abgezogen werden. Die Grundidee des Gesetzgebers ist es nämlich, dass das Existenzminimum so exakt bestimmt ist, dass es nicht durch alle möglichen Quellen und Gaben ausufert.

Wir brauchen also eine ständige Verbesserung der Regelsätze auf einem akzeptablen Niveau. Wenn die Bundespolitik nach schwarzen Nullen jagt, ist es regelmäßig so, dass das knappe Geld nicht so gern in die Überbrückung der Armut investiert wird. Dagegen wird vor Gerichten ständig geklagt, meistens erfolgreich. Doch dem Empfänger von Sozialleistungen bleiben im Moment erst einmal trotzdem nur die 416€.

Betrachtet man also die Verschwendung von Lebensmitteln von der Grundversorgung armer Menschen getrennt, dann können wir uns unabhängig darauf konzentrieren, die Verschwendung anzugehen. Dass die Verschwendungen zu den Armen umgeleitet werden, ist eine überaus beliebte Möglichkeit. Wie beim Müll, wäre aber eine Überschussvermeidung die erste Wahl.

Die Idee, „Gutes“ zu tun, ist in alter christlicher Tradition auch dann unangreifbar, wenn sich das Gute als das Schlechte, oder als Verhinderung des Guten herausstellt. Und so wächst zusammen, was nicht zusammengehört, der Anspruch auf Hilfe und die kostenfreie Verteilung von Lebensmitteln.

Daraus ergeben sich viele scheinbare Vorteile, die aber in Wirklichkeit nur das System der Hilfe außer Kraft setzen.

  • Der Gesetzgeber kann sich bei der Neubestimmung der Regelsätze stark zurück nehmen, weil wirklich Bedürftige und auch kritische arme Menschen bei der Tafel das erhalten, was ihnen eigentlich als Regelsatz zusteht.
  • Wechselfälle des Lebens, die einer spontanen Hilfe bedürften können behördlicherseits oft unbearbeitet bleiben, weil die Tafel einspringt.
  • Arme Menschen, die einen Anspruch haben, können häufig von der Behörde einfach so an die Tafel weitergereicht werden.
  • Die Behörde spart in erheblichem Rahmen Personal und Finanzmittel ein, weil die Tafeln ehrenamtlich deren Arbeit ersetzen.
  • Für Tafeln, Behörden, Tafellieferanten, die Presse und hilfsbedürftige Menschen wird die Idee gepflegt, dass das Ehrenamt gut und wirksam arbeitet.
  • Es warten ab und zu ein Dankeschön und möglicherweise das Seelenheil für die vielen ehrenamtlichen Helfer.

Der Herr von der Tafel und seine Kumpanen sollten einfach nur die Arbeit einstellen. Überproduzierte Lebensmittel lassen sich mit logistischen Mitteln reduzieren. Lebensmittel werden zudem billiger, wenn – wie in einigen anderen Ländern – die Überproduktion sanktioniert wird. Jedem Bäcker steht es beispielsweise zudem frei, Ware vom Vortag billiger abzugeben oder Zeiten für einen reduzierten Restverkauf anzubieten. Hinzuweisen ist auch noch auf zahlreiche Food-Sharing-Projekte. Und wenn der Nachbar arm ist, dann kauft man für ihn zum Grillen ein paar Würste mehr.

Da fällt mir eine Geschichte ein, die auf den ersten Blick mit der Essener Tafel nichts zu tun hat:
Vor vielen Jahren habe ich einmal mit ein paar Mitarbeitern ein Sommerfest auf dem Außengelände einer Flüchtlingsunterkunft organisiert. Es war schön und gut. Es gab viele Gespräche zwischen den Kulturen und künstlerische Darbietungen auffällig hohen Niveaus. Die Würste, das Brot und die Getränke waren kostenfrei, sollten aber im Festzusammenhang konsumiert werden. Es war dann zu beobachten, dass bestimmte Untergruppen wohlorganisiert waren. Zunächst wurde eine Wurst auf dem Teller zu einer kranken Frau ins Haus getragen, dann wurde ein Kasten Getränke weggetragen und schließlich ein Teller mit unüberschaubar vielen Würsten. Es war also erforderlich, das Fest über Eingriffe in diesen Ablauf und Gespräche zu retten. Das ist dann auch gelungen. Es gab genügend Flüchtlinge, die so einen destruktiven Selbstbedienungsladen auch nicht wollten und sich entsprechend eingebracht haben. Der Gesprächsrahmen reichte aus, um den Konflikt gut zu bewältigen. Ob so oder so, etwas Tafel ist immer und alle Beteiligten lernen daraus.

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