Die Abtrünnigen werden nicht gemocht, aber man berichtet gern über sie

In Niedersachsen wechselt die politische Mehrheit im Parlament, weil eine Abgeordnete ihre Position jetzt in einer anderen Partei vertritt.

Politische Mandatsträger werden nicht in Parteien hinein geboren. Sie werden aus freien Stücken Mitglied, jedenfalls unter demokratischen Verhältnissen. Sie wechseln sogar auch ab und zu die Partei. Danach zeigt sich stets, dass die Partei eigentlich mit einer Leibeigenschaft kalkuliert hatte und mit jedem Abgeordneten deshalb auch ein Sicherheitsrisiko ins Rennen schickt. In der irgendwie beschädigten Partei ist nach so einem Parteiwechsel stets vom Verrat am Wählerwillen, von einem skandalösen, unwürdigen und schmutzigen Spiel und fehlendem Rückgrat die Rede. Das machen eigentlich alle Parteien so, während die jeweils gegnerischen Parteien Freude haben. Nur das Direktmandat schützt den Abtrünnigen noch etwas vor dem Vorwurf, er sei ja eigentlich gar nicht gewählt worden und solle sich deshalb auch nicht so aufführen.
Wenn es auf einen einzigen Mandatsträger ankommt, weil an ihm eine Mehrheit hängt, dann wird besonders dramatisch reagiert.
Dabei wird der Bürgerwille sehr gut und vollkommen emotionsfrei im Grundgesetz und den Verfassungen der Länder geregelt. Der Abgeordnete ist niemandem gegenüber verantwortlich. Es soll das ganz einfach so machen können und es zeigt sich danach stets, dass Parlamente insgesamt stets so gut sind, dass sie solche unvorhergesehenen Situationen gut bewältigen können. Für einen Wechsel gibt es keine Zeitvorgaben, keine moralischen Maßstäbe und nicht einmal eine grundlegende Vernunft, die vorgeschrieben wäre. Das will also der Wähler! Und er wird meistens nicht enttäuscht. Bei der nächsten Wahl wird er auch sein Votum im Licht von Parteiwechseln und deren Bewältigung abgeben. Dass der Souverän gewollt haben soll, dass ein Parteiwechsel nicht stattfindet und alte Mehrheiten im Sinn des Wählers erhalten werden sollen, ist viel zu kühn auf eine statische Machterhaltung bezogen. Man sollte darüber nicht ernsthaft reden wollen wenn man will, dass die Politik etwas bewegt und dass der freie Abgeordnete auf Zeit das machen kann, was er will.

Ganz nebenbei: Als Wähler würde mir jedenfalls sauer aufstoßen, dass die besagte Abgeordnete im sicheren Hafen der ausersehenen neuen Partei ihre gewandelte Position vorgetragen hat. Eine selbstverantwortliche, freie Abgeordnete hätte auch auf sich selbst gestellt eine Lautsprecheranlage finden müssen.


Nachtrag am 6. August 2017:
Wie die Presse jetzt berichtet, hat der mittlerweile ohne Mehrheit regierende Ministerpräsident Weil eine Regierungserklärung zur Korrektur dem für Niedersachsen besonders bedeutungsvollen Industriekonzern Volkswagen vorgelegt. Es ging wohl darum, den Abgasskandal „richtig“ darzustellen. Nun kann er zwar sagen, er habe trotzdem die Sichtweise der Regierung für die Endfassung durchgesetzt. Das wird ihm aber niemand abnehmen. Unter solchen Bedingungen ist eine Gefolgschaft einer Parlamentsmehrheit ohnehin mehr als fragwürdig.

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