Coole Fritte

Zur Freizeit im westlichen Ruhrgebiet gehört immer schön der Ausflug in die Niederlande. Die Unterschiede haben sich im Laufe der Jahre angeglichen und die Motive für den Ausflug haben sich auch geändert. Geblieben ist die Ausrichtung der niederländischen Innenstädte auf die Vorlieben der deutschen Kundschaft.

Zu meine ersten Erfahrungen gehörten meine Blicke aus dem von Zigarettenqualm verseuchten Auto meiner Eltern. Ich sah an jeder holländischen Straßenecke Leute mit Tüten durch den herbstlichen Abend laufen, in denen offenbar irgend etwas war, was offenbar jeder Holländer essen musste. Dass es Pommes waren, wie wir später im Ruhrgebiet sagten, oder Fritten, wie ich es später am Niederrhein bis weit nach Ostbelgien hinein sagen musste, wusste ich zunächst nicht. Ich kannte das einfach nicht, wie eben auch Pizza. Die Fastfoodkultur beschränkte sich damals bei uns auf fliegende Stände auf Trümmergrundstücken, an denen es Schaschlik und dazu eventuell ein halbes Brötchen gab. Diese Stände wurden abends betrieben, als die Kinder im Bett waren. Es hieß, in dem Schaschlik seien ziemlich viele Innereien und ab und zu hörte man, dass das Gesundheitsamt so einen Laden zugemacht hatte, weil mutmaßlich nicht nur Innereien im Schaschlik waren. Die von den Großeltern betriebene Familienideologie kennzeichnete diese Art der frühen Erlebnisgastronomie als einen Angriff auf das gute Essen in der Familie, in der Schaschlik nicht vorkam und selbst das Brötchen selten war.

Die Fastfoodladenbetreiber erweiterten die Palette ihrer Produkte, verbesserten das Ambiente ihrer Läden und pimpten die technische Ausstattung. Damit hielt dann auch mit dem Beginn der 60er Jahre die Pommes Einzug in die Welt der für alle verfügbaren Gastronomie. Ich konnte das sehen, wusste und roch dann auch, was Pommes waren, war aber durch die besagte Familienideologie und der überschaubar kontrollierten Tagesabläufe gar nicht in der Lage, mich eigenmächtig den Pommes zu nähern. Irgendwann öfnete sich der Zugang dadurch, dass meine Eltern mit mir ein Restaurant besuchten. Dort wurde ich dann multisinnlich in die Welt der Pommes eingeführt und fand einen sehr großen Gefallen daran. Mein phantasierter Inbegriff der Zufriedenheit war es, an einem kalten Abend mit gefrorenen Fingern eine Tüte heißer Fritten zu halten und alle Sinne mit Wärme, Wohlgeruch, einer fein strukturierter Röstoptik und einem unvergleichlich guten Geschmack in eine andere Welt zu beamen. Ich war wohl schon fast 14 als mir den eigenmächtigen Zugang zu dem Pommes möglich war und ich ihn mir auch gestattete. Er war möglich durch lange Schulwege, auf denen immer mal kleine Abweichungen möglich waren und es war meine Entscheidung, dafür Geld auszugeben. Ich muss dazu sagen, dass ich über ein eher bescheidenes Taschengeld, kleine Zuwendungen von Omas, Tanten und Onkel und kindgerechter Schrottgeschäfte zu einem erheblichen Reichtum gekommen war, weil ich eigentlich nichts ausgab. Also 50 Mark hatte ich damals immer in der Tasche. Das gehörte zu meinem Selbstverständnis. Für eine Tüte Waffelbruch von 20 Pfennig war ich wohl dreimal um den Block gelaufen, um sie mir dann schließlich doch zu kaufen. Die Pommes waren dann der erste größere Sündenfall und lieferte so eine große Entschädigung an Sinnlichkeit, wie es besser nicht möglich gewesen wäre. Mit der Zeit kam dann auch die Geselligkeit mit Freunden in der Pommesbude dazu. Zu meinem Leidwesen wurde die Tüte nach und nach durch ein Schälchen ersetzt. Meine Oma hat von meinen Pommesausflügen nie etwas erfahren. Meine Eltern merkte auch sehr bald, dass sich ihr Doppelleben mit Schaschlik in der Nacht und ohne Kinder nicht durchhalten ließ.

Bis zum heutigen Tag ist es so geblieben, dass sich die „Pommes ohne alles“ bevorzuge. Angeregt in der Westeifel und in Belgien esse ich aber gern Senf neben, also nicht auf den Fritten. ich möchte nämlich das Verhältnis von Biss zu Biss selbst bestimmen. In der Bude von Ralph im belgischen Neu Moresnet habe ich mal „Pommes“ bestellt, worauf der Ralph leicht genervt, aber grinsend gesagt hat: „Hab ich nicht.“ Dann habe ich schnell „Fritten“ gesagt. – „Na, geht doch!“ Im Jahr 1990 gab ein Erlebnis, das nachdenklich macht. Bei einer Wanderung auf dem Rennsteig in Thüringen, gab es in einem eher traditionellen DDR-Lokal Stäbchenkartoffeln.

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Für Showzwecke habe ich neuerdings auch eine Plastikfritte und arbeite an dramaturgischen Spitzfindigkeiten, sie würdig zu inszenieren. Das hat sie doch verdient.

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