Gaff nicht so …

Bei Rettungseinsätzen ist immer wieder von Gaffern die Rede, die unethisch handeln und Rettungskräfte behindern. Dabei wird so getan, als sei die Sache mit der Bezeichnung Gaffer hinlänglich aufgeklärt, und der Mensch habe nichts anderes zu tun, als das Gaffen einzustellen.

Bei Verkehrsunfällen und Bränden werden selbstverständlich die Hilfe und die Helfer gestört, wenn jeder sich selbst ein Bild oder einen Film von der Situation machen will. Die sogenannten Gaffer werden in der öffentlichen Diskussion aber nur als schuldhafte, gedankenlose Monster gegen das Leben karikiert. Das ist aber höchstens die halbe Wahrheit.

Das sogenannte Gaffen hat archaische Elemente. Das sollte aber nicht zur Rechtfertigung, sondern als Erklärung beachtet werden.

In Katastrophen, also Ereignissen, die sich nicht unmittelbar und einfach selbst erklären, fehlen meist die Muster, darauf zu reagieren und man reagiert dann auch eher ohne eine intellektuelle Steuerung. Viele Einzelne bilden keine Gruppe, sondern verschmelzen zur sozialen Masse, die sich nicht an bestehenden Regeln orientiert, sondern Impulsen folgt, die nahezu zufällig erscheinen. Gleichwohl sind solche Situationen für den Einzelnen und seine Gemeinschaft zu wichtig, um sie zu übergehen und sie dann eben nicht so zu ergründen, dass man ihnen zukünftig anders begegnen kann.

Gaffer lediglich als blöde und emotionslose Menschen zu brandmarken ist selbstgerecht. Allerdings können sie lernen, mit intellektueller Leistung die Komplexität neuzeitlicher Katastrophen und die Leistungsfähigkeit von ebenfalls neuzeitlichen Rettungsdiensten zu verstehen, und damit den archaischen Untergrund zu kontrollieren. Erfahrungsgemäß gelingt das nicht jedem, nicht immer und nicht vollständig. Gaffexzesse wären demnach als eine unheilige Verbindung von archaischer Reaktionsmustern mit individuellen Fehlentwicklungen zu deuten. Nach meinem Verständnis sollte, wie es gerade diskutiert wird, das Gaffen jedenfalls nicht strafbar sein.

Das Gaffen wird ja auch erst mit einer vor kurzem noch unvorstellbaren Mobilität auf den Straßen und den Datenwegen zum Problem. Das bedeutet doch, dass die Mobilitätsentwicklung selbst am Gaffen nicht unbeteiligt sind.

Ich habe hier eine Erinnerung aus den 50er Jahren: An einer Straßeneinmündung wurde ein Motorradfahrer von einem Auto sehr schwer verletzt, weil einer von beiden, die Rechts-vor-links-Regel nicht beachtet hatte. Der Knall sorgte für Aufmerksamkeit. Mütter stellten den Herd ab und liefen auf die Straße, spielende Kinder riefen sich zu „Da ist ein Unfall!“ und rannten hin. Die Belegschaft ganzer Handwerksbetriebe lief auf die Straße. Und am Unfallort bildete sich eine große Gruppe von Menschen, die auch sofort die Schuldfrage diskutierten. Einige betreuten den Motorradfahrer, bis der Rettungswagen da war. Einer sagte: „Der darf nicht zu viel Blut verlieren!“ – Von Gaffern und Schaulustigen war nicht die Rede. Es gab nicht einmal eine Erwachsenenansprache für Kinder, sich aus dem Staub zu machen. Das war alles ganz normal. Und „rechts-vor-links˝ das kannten die Kinder dann schon, bevor die Abseitsregel beim Fußball noch wichtiger wurde.

Ein Unfall als Ort der Geselligkeit, sogar auch für den Verletzten – das ist heute unvorstellbar und wird im Zeitgeist vollkommen anders bewertet.
Das ist richtig, blendet aber die historische gesellschaftliche Bedeutung von Katastrophen ziemlich stark aus, so als könnten wir uns immer schon gegen Gott und die Welt versichern und uns sorgenfrei kaufen.

Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.