Texte der Nazis im Schulunterricht

Ich bin dafür!

Seitdem das Lesenkönnen kein Privileg mehr ist, gibt es immer wieder Versuche mit verbotenen Büchern, das eine oder andere vom Bürger fern zu halten. Es dient seiner Entmündigung, wird aber stets so begründet, dass es zu seinem Schutz dient. Offenbar gibt es zu jeder Zeit bevorzugte Besserwisser, die die sündige Welt schon einmal vorgekaut und vorverdaut haben.
Mit der Hinwendung zu den Menschenrechten hätte bereits klar sein müssen, dass der mündige Bürger es selbst in der Hand haben muss, Texte zu lesen und sich ein Urteil über die Welt zu bilden. Aber es dauert nach vielen Exzessen der Bevormundung bis in die heutige Zeit, dass gegen jede Erkenntnis und Erfahrung der Mensch vor dem Menschen bewahrt werden soll. Ursprünglich galten pauschal alle neuen Ideen als gefährlich. Über Bücher vermittelte Flausen wurden gern, wenn man sie hochrechnete, als gefährdend für überkommene Herrschaftssystem und Herrscher gebrandmarkt. Heutzutage gibt es das in dieser Form wohl noch in Saudi-Arabien und einigen anderen Ländern. Eine eigenwillige Interpretation des Koran kann dort tätliche Folgen haben. Wir haben dagegen gelernt, dass man viele gute Theateraufführungen sehen kann, ohne es direkt zu merken und bei einer schlechten Aufführung erst lernt, was ein gutes Theaterstück überhaupt ausmacht. Wir lesen die Bücher, die wir wollen und gewinnen Kategorien, diese Bücher auch zu beurteilen. Aber leider ist es doch nicht immer so. Es kann sein, dass wir durch Medien für Sichtweisen angefixt werden, die uns beim besten Willen nicht mehr los lassen. Wir tauchen ein und legen unsere Selbstbestimmung ab, in der die Kritik an anderen und an uns selbst aufgehoben ist. Das wird bei dem besagten zweifelhaften Bestseller vergangener Epochen wahrscheinlich nicht so sein. Ihn aus dem Weg zu räumen, bedeutet aber, das alltägliche Feld der Auseinandersetzung so zu begradigen, dass der erstbeste Scharlatan eine Chance bekommt, weil uns das Werkzeug fehlt, ihm zu begegnen. Wenn nun Hitlers „Mein Kampf“ zum Gegenstand es Schulunterrichts wird, dann werden die Werkzeuge zum Umgang damit direkt mitgeliefert. Das sind nicht nur die Werkzeuge der Textanalyse und Textinterpretation, es ist auch das Werkzeug des herrschaftsfreien Gesprächs. Das ist ja noch viel besser, als wenn das Buch einsam bewältigen muss. Und – wie angedeutet – man liest viele gute Bücher, ohne es zu merken. Mit einem schlechten Buch erfahren wir plötzlich, was ein gutes Buch ist.

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